Vorklapp: Ich kenne niemanden, der deutschsprachige Musik so verachtet wie mein Freund. Gepaart mit seiner stark ausgeprägten Aversion gegen triviale Musikrichtungen wie Punk ist das ein hervorragender Nährboden für zähe Diskussionen darüber, wie ich mir derartige Musik nur freiwillig anhören kann. Mit größter Freude und zu jeder sich bietenden Gelegenheit tut er seine Abneigung gegen meine Lieblingsmusik kund und verlässt auch gerne augenrollend Feiern, wenn ich die Musik unter meine Gewalt bringen konnte. Ich habe mich damit arrangiert, trage es meistens mit Humor und kann mir dennoch seit Jahren nichts Lustigeres vorstellen, als ihn auf ein Konzert dieser Gattung zu schleifen und ihm beim Verzweifeln zuzusehen.
Alkohol macht Vieles möglich
Wie kommt es nun also, dass dieser Mensch freiwillig mit auf ein Broilers-Konzert kommt? Ursächlich war ein amüsanter Abend beim diesjährigen Rock am Ring, an dem etwas völlig Unvorhergesehenes geschah: Als Inga und ich, leicht angetrunken und ziemlich gut gelaunt, vor der Centerstage den ersten Song des Broilers-Sets feierten, kam plötzlich von hinten ein wesentlich mehr angetrunkener Julian angeschossen, der die Faust gen Himmel streckte und den Refrain mitgröhlte. Wir waren irritiert: Wer ist dieser Mann und woher kennt er Broilers-Songtexte? Sichtlich verwirrt hielten wir seinen Auftritt für einen Gag. Doch als er auch beim zweiten Song ein paar der Zeilen mitsang und gar tanzte (Julian tanzt nicht), mussten wir nachhaken.
Julian attestierte der Band Livequalitäten und dass eben nur ihre CDs blöd seien. Ingas Freund dagegen wollte die Broilers eigentlich unbedingt sehen, war aber noch ein ganzes Stück betrunkener als Julian und verpasste letztlich das Konzert. So fassten Inga und ich den Beschluss, die beiden Herren im Laufe des Sommers für eine Exkursion zu den Broilers zu verpflichten, was sie an diesem Abend auch beide bejahten.
Die Broilers machen sogar mit den Menners Bock
Nicht alle Beteiligten waren über diesen Beschluss im nüchternen Zustand glücklich, aber ausgemacht ist ausgemacht und wir landeten im August in Gießen – zugegebenermaßen dieses Mal alle auf ähnlichem Level angetrunken.

Es war irgendwie grotesk, mit den Männern auf einem Almankonzert zu stehen. Einerseits fühlte sich das nach dem ganz normalen Business an, andererseits hatten wir diese zwei Typen im Schlepptau, die irgendwie gerade in unsere Welt eindrangen. Zu Beginn des Intros banden uns Inga und ich nochmal die Schuhe, legten die Bauchtaschen ab, warfen sie den Männern um den Hals – all dies unter kritischen und durchaus auch fragenden Blicken.
Ich konnte förmlich spüren, wie sie sich fragten, was das Ritual, das wir da gerade abgespult haben, eigentlich soll. Wie sonst, wenn man zum Einkaufen geht, verabschiedeten wir die Männer mit einem Kuss, gepaart mit „sind gleich wieder da“ und sprangen pünktlich zu den ersten Akkorden von „Zurück zum Beton“ in den Moshpit. Nach unserem obligatorischen Crowdsurf standen wir zum Ende des Songs wieder am Rand bei den Menners, die über unsere schnelle Rückkehr erstaunt waren.
Sie waren Moshpit motiviert und so zogen wir tatsächlich zu viert in die Mitte. Ich fühlte mich immer noch wie ein Museumsführer, der Neugierige in eine ihnen verborgene Welt einführte. Mit Freuden vernahm ich, dass Julian tatsächlich Spaß hatte. Auch wenn ich mich nach rund neun Jahren Beziehung daran gewöhnt habe, dass er meine Bands verabscheut und ich mir eigentlich auch nichts schlimmeres vorstellen könnte, als einen Freund, der ständig mit auf Tour will, war es an diesem Abend dennoch schön zu sehen, das ich offenbar doch keinen völlig verkorksten Musikgeschmack zu haben scheine.

Die Broilers, die sich im Laufe des Sommers immer mehr als Überraschung der Herzen herausstellten, lieferten an diesem Abend erneut eine fabelhafte Show mit hervorragender Setlist ab. Habe ich schon erwähnt, dass ich die Puro Amor liebe? Am Ende scheint es auch den Männern so zu gehen wie Inga und mir, denn bis zum Schluss bleiben sie mit uns im Pit und haben sichtlich Freude, was wiederum uns noch eine größere Freude macht. Irgendwie ein völlig absurder Abend, der durch große Mengen Vodka noch eine weitere Dimension Unterhaltungspotenzial erhielt.
Als die Broilers zu den Klängen von „Don’t stop believin'“ ihre Verbeugungsrunde machen, wünsche ich mir schnellstmöglich eine Hallentour herbei. Und dann brauche ich viiiiel Urlaub.