Ein persönlicher Abriss über das, was Corona aus mir gemacht hat und wie sich dieser Festivalsommer bislang anfühlt.
Was habe ich mir während der düsteren Lockdown-Tage den Frust von der Seele geschrieben. In essayistischen Manifesten habe ich zeilenlang dargelegt, wie traurig das Leben doch ist, wenn einem das genommen wird, was einem Spaß macht. Wenn die innere Flamme nicht mehr leuchtet, wenn einem der liebste Lebensinhalt abgängig ist. Obwohl ich in meinem Dasein im Homeoffice extrem privilegiert war, konnte ich der Zwangsentschleunigung Corona zu keiner Zeit etwas Positives abgewinnen.
Der Dreistigkeit in meiner Empfindung war ich mir bewusst, wusste ich doch, dass es genügend Menschen gibt, die von meinen Luxusproblemen träumen würden. Trotzdem war ich über weite Strecken der Pandemie ein ungenießbarer Mensch, der keinen Hehl daraus gemacht hat, wie erbärmlich er sich fühlt.
Beim üblichen Smalltalk beim Einkaufen fragte man mich hier im Dorf häufig, wie es mir denn ginge, so ganz ohne Konzerte. Das müsse doch schlimm sein? Ja, ist es, danke für die dumme Frage. Doch anstatt pseudohöflich zu antworten „ja, ist halt so, was will man machen“, ging ich relativ schnell dazu über, die wahrscheinlich freundlich gemeinten Nachfragen mit passiv-aggressiven und viel zu ehrlichen Antworten zu quittieren. „Mir gehts schrecklich und ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte“ ist nicht unbedingt die leichte Kost zwischen Bananen und Kiwis im Obst und Gemüseregal bei Aldi, aber mir lag auch nichts daran, einen Hehl aus meiner Misere zu machen. Das nur als kleiner Einblick in meine Gefühlswelt vor April 2022.
Während ich euch die durchaus deprimierenden Schriftstücke aus dieser Zeit lieber ersparen möchte, kann ich stolz vermelden, dass der Tenor im Smalltalk sich mittlerweile deutlich verändert hat. Ich werde nicht mehr mit einem mitleidsschwangeren Blick angesehen, nein, jetzt freut man sich gar, dass ich überhaupt mal wieder im Lande bin. „Ach, du bist ja nur noch unterwegs. Schön!“ Höre ich dieser Tage öfter. Und dass ich es genießen soll, man wisse ja nie, was als nächstes kommt.
Aber genieße ich auch genug? Eine Frage, die ich mir selbst in den letzten Wochen durchaus schon gestellt habe. So fürchterlich und nimmer-enden-wollend diese Pandemie sich für mich anfühlte, so schnell war ich wieder von null auf hundert back im business. Waren die ersten 3-4 Konzerte noch von aufregenden „Ersten Malen“ geprägt, so fühlte es sich schon bei der zweiten Kraftklub Show für mich an, als hätte es diese zwei Jahre voller Lockdowns, Kontaktverbote und Ausgangssperren nie gegeben. Ich fühlte mich gleichermaßen wie neu geboren und auch so, als wäre nie etwas passiert.
Diese zurückkehrende Selbstverständlichkeit fühlte sich fantastisch an, weil es endlich mal wieder eine Konstante in meiner Freizeitplanung zu geben schien. Gleichzeitig stimmte sie mich aber auch oft nachdenklich: Ist das eigentlich normal, dass man zwei derart einschneidende Jahre in so kurzer Zeit einfach so wegtanzen kann?
Ich glaube mittlerweile: Das ist genau richtig so. Denn diese gute Energie, die mir Konzerte geben, ist genau das, was mir in den letzten zwei Jahren gefehlt hat. Ist es dann nicht selbsterklärend, dass man möglichst schnell möglichst viel von dieser guten Energie aufsaugen will? Dass diese Energie einfach so hell scheint, dass sie das vormals Dunkle einfach überstrahlt? Wer will denn schon an miese Laune denken, wenn er gerade breitgrinsend von einem Konzert nach Hause geht? Niemand!
So fabelhaft dieser Sommer sich bislang gestaltet, so ist es doch auch ein Sommer der Entscheidungen. Tickets haben sich seit 2019 stapelweise angehäuft, Konzerte wurden angesetzt und verschoben, Urlaube vertagt und es kristallisierte sich schnell heraus, dass man nicht auf allen Hochzeiten tanzen kann (aber manchmal muss, dazu aber gleich mehr).
Ja, es tut schon weh, wenn man sich zwischen Lieblingsbands entscheiden muss: das tat es schon vor der Pandemie. Doch in diesem Sommer habe ich mit so mancher Entscheidung noch mehr gehadert als früher. Würde ich etwas verpassen? Was, wenn ich ein anderes Konzert eigentlich besser fände? Es war nicht die klassische FOMO, fear of missing out, die mich umtrieb, es war eher eine FOCW, die fear of choosing wrong. Mein Lieblingstag ist immer noch einer im Juli, für den ich Tickets für Shows von Kraftklub, den Hosen und den Broilers hatte – natürlich alle drei in unterschiedlichen Städten. Zudem wollte mein Schwiegervater seinen runden Geburtstag feiern. Was für ein Gott lässt einen eigentlich solche Entscheidungen fällen? Ich habe es so gut wie immer vom Bauchgefühl abhängig gemacht und bereue keine Entscheidung, die ich getroffen habe – das liegt vor allem aber auch an den Bands, die diesen Sommer brutal abliefern und es schaffen, das kaum eine Show wirklich schlecht ist.
Das einzige, was mir diesen Sommer also so richtig Schmerzen bereitet hat, ich habe es bereits angedeutet, waren Hochzeiten. Ja, nicht nur Konzerte und Festivals wollten nachgeholt werden, sondern auch Pflichttermine im privaten Bereich, für die es quasi überhaupt keine Exit-Strategie gibt. Ja, ich liebe meine Freunde und möchte natürlich ihre Reise in den Hafen der Ehe bejubeln. Aber wer im ersten Festivalsommer nach Corona heiratet und meinen Namen auf die Gästeliste setzt, der muss dann schon damit rechnen, dass ich nach dem 12. Lillet ein bisschen gefühlsschwanger auf meinem Handy Stories von Konzerten anschaue. Denn sind wir ehrlich, während der Pandemie und der Lockdowns habe ich gefühlt täglich von Konzerten geträumt, aber nie von Kuchenbuffets auf kitschigen Hochzeiten.
Auch hier sind wir wieder bei den eingangs erwähnten Luxusproblemen. Dennoch sind das Dinge, die mich diesen Sommer ernsthaft umtreiben: Wie kann ich neben der Arbeit und privaten Verpflichtungen möglichst noch mehr Zeit dafür freischaufeln, dem nachzugehen, das mir und meinem Wesen ganz augenscheinlich am allerbesten tut? Das macht diesen Sommer wiederum auch sehr anstrengend. Gefühlt bin ich kaum Zuhause, lebe aus Koffern und Taschen, hole Schlaf nach und Wasche verzweifelt Kleidung, ehe es schon wieder los geht. Dieser Stress, so kräftezehrend er sich auch anhören mag, hat mich belebt wie noch nie etwas zuvor. Es fühlt sich fantastisch an, aus einem Angebot aus Veranstaltungen auswählen zu können und endlich wieder Konzerte zu besuchen.
Wenn ich eines aus der Pandemie gelernt habe, dann das ich Konzerte und Livemusik noch viel mehr liebe, als ohnehin schon angenommen. Wahrscheinlich wird das zur Folge haben, das ich noch häufiger die Prioritäten weg vom Dorfleben, hin zu Konzerten verschieben werde. Aber im Moment fühlt sich das nach der einzig richtigen Entscheidung und der logischen Konsequenz aus zwei Jahren Selbstkasteiung an.
Nehmt es mir also nicht persönlich, wenn ich euch kurzfristig versetze: Mir ist das letzte bisschen Taktgefühl nun endgültig abhanden gekommen. Ich bin eine schlechte Freundin, aber dafür eine glückliche. Könnt ihr mit diesem Deal leben? Ich egoistischerweise auf jeden Fall. Vielleicht setzt irgendwann wieder eine Sättigung ein, wer weiß. Momentan fühle ich mich davon allerdings meilenweit entfernt.