983 Tage ohne Kraftklub-Konzert. Davon zwei Drittel während einer Pandemie, in der ich die Musik der Band nur betrunken ertrug und mir an besonders schlechten Tagen ein tröstendes Strohfeuer aus Gedanken entzündete, in dem ich mir blumig vorstellte, wie schön alles in einer hypothetischen Zukunft sein würde.
Auch wenn ich bereits wieder Konzerte erlebt habe, ja, ein Stück Normalität genossen habe: So richtig würde ich die Zeit der Zwangsentbehrung erst hinter mir lassen können, wenn ich auch den Kraftklub gesehen hatte. Ihr wisst ja wie das ist, wenn man sich so ewig auf etwas freut: Manchmal wird man dann enttäuscht, weil die Realität nicht mit der eigenen Fantasie mithalten kann. Aber war das in Konstanz auch so? Fangen wir vorne an.
Endlich wieder Festivalsaison!
Wenn man in der Pandemie den schönen Festivals hinterhergetrauert hat, blendete man meistens ganz souverän die Schattenseiten solcher Veranstaltungen aus. Dass nun allerdings gleich das erste Festival des Jahres all diese negativen Punkte auf einmal erfüllen würde, hätte nicht zwingend sein müssen. Um meinen Blutdruck zu schonen, fasse ich mich kurz und umreiße nur schemenhaft, was sich in Konstanz darbot: Es gab keinen Einlass, weil man ihn schlicht vergaß aufzubauen. Die Geländeöffnung verzögerte sich über eine Stunde, während allerdings schon Leute von einem dubiosen Waldeingang längst in der ersten Reihe standen und dort Daumen drehten. Das Cashless-System funktionierte nicht, sodass man entweder am Essensstand sein Essen nicht bezahlen konnte oder gar nicht erst dazu kam, Geld auf den Chip zu laden. Der vordere Wellenbrecher wurde mehrfach gestürmt, war infolge dessen überfüllt und es gab zahlreiche ohnmächtige Mädels. Das studentische Publikum war übermäßig alkoholisiert, anstrengend und nicht wirklich vertraut damit, wie man sich in einer großen Menschenmasse bewegt. Fanherz, was willst du mehr?
Mit Provinz wird das in diesem Leben vermutlich nichts mehr
Auch die musikalische Untermalung des Tages wusste zunächst nicht zu überzeugen. Als der Wellenbrecher ähnlich voll wurde wie seine Durchschnittsbesucher*innen und die Geräuschkulisse sich langsam in Richtung Geschrei bewegte, stand uns der Auftritt von Provinz bevor. Wir kannten im Vorfeld ein paar Songs und wussten, dass die Jungs sehr jung, sehr aufstrebend und sehr erfolgreich sind. Leider konnten wir all das nicht unbedingt nachvollziehen – abgesehen vom wirklich sehr anstrengenden Publikum, das während des Konzerts darüber debattierte, welches Bandmitglied denn nun geheiratet werden soll, ließ uns auch die Musik eher ratlos zurück. Während die Menge ausrastete, fanden wir das Konzert leider äußerst langweilig und empfanden die knapp 50 Minuten Spielzeit wie drei endlos lange Stunden.
Danach hatten wir das Vergnügen mit Juju: Auch hier war unser Bocklevel eher so semi. Außer, dass Juju mal ein Teil von SXTN war und sie einen Überhit mit Henning May hatte, wussten wir eigentlich nichts. Doch die Show unterhielt uns: Vor allem, weil bei gefühlt jedem Song etwas passierte. So richtig darauf einlassen, das war allerdings nicht drin. Denn während die Minuten verronnen nahte der so ewig herbeigesehnte Moment des Kraftklub-Konzerts. Und je näher dieses Konzert kam, je verunsicherter waren wir mit unserer Gefühlswelt.
Da standen wir nun also und starrten auf das Backdrop, das schon im grauen Kargo-Look daherkam. Auch wenn unsere Gehirne uns sagten: „Hier findet gleich ein Kraftklub Konzert statt!“ so waren sie nicht in der Lage, diese Information zu verarbeiten.
Ich bin normalerweise nicht sonderlich nah am Wasser gebaut, aber als die Amps von Till und Karl reingeschoben wurden, hatte ich erstmals an diesem Abend schwer mit den Tränen zu kämpfen. Passiert es jetzt wirklich? Das war alles unglaublich surreal und durchaus zu viel für mein Nervengerüst, das an diesem Tag schon hart strapaziert worden war.
Als sich schließlich Max am Schlagzeug einfand und auf die Drums einschlug, die erste Erleichterung: Sie verzichten gänzlich auf ein Intro und spielen meinen absoluten Hass-Song als Opener. Das ist also meine Chance, nicht direkt die Fassung zu verlieren. Dachte ich zumindest. Ich will nicht lügen, die ersten drei Songs zogen an mir vorbei wie ein Stück Treibholz im Rhein. Ähnlich verhielt es sich auch mit den Wassermassen, die aus meinen Augen strömten. So fühlt sie sich also an, die komplette Überwältigung.
Sonderlich viel kann ich euch über das Konzert auch gar nicht berichten, da es an mir vorbeirauschte wie ein Film. Mike Skinner funktioniert hervorragend live, Songs für Liam ist noch immer fantastisch und Brummer kann trotz Solo-Eskapaden noch Kraftklub. Die wichtigsten Dinge haben also gepasst. Mit ein paar Tagen Abstand kann ich aber erkennen, dass die Show als solche alles andere als rund war, was auch am holprigen Einstieg lag. Es weckt durchaus den Eindruck, als sei man im Hause Kraftklub noch nicht ganz bereit für den Festivalsommer – was sich aber sicherlich noch einrenken wird, gerade wenn das Kargo-Release näher rückt und Brummer endlich die Kummer-Sache beerdigt. Aber hey, ich wäre heute auch der glücklichste Mensch der Welt gewesen, wenn sie einfach 12 Mal Songs für Liam gespielt hätten und dabei doofe Grimassen geschnitten hätten. Ich hab die Lieblingsband zurück. Endlich.
Fazit: Da malt man sich so lange das Wiedersehen aus und am Ende ist man komplett überfordert mit allem, kann vor lauter Überwältigung gar nicht richtig genießen. Ich freue mich auf das nächste Kraftklub Konzert, das schon in zwei Wochen stattfindet und das ich dann hoffentlich auch wirklich aufsaugen kann. Diese Tourerei aus dem Nichts fühlt sich fast schon absurd an, wenn man drei Jahre darauf warten musste. Absurd, aber verdammt schön.