Als Tourer gibt es Abende, die verschwimmen im Gedächtnis schon, ehe die letzten Akkorde verklungen sind. Es gibt auch Abende, die ein paar Monate in der Erinnerung präsent sind, ehe sie dann langsam zu verblassen beginnen. Und dann gibt es Abende wie Zürich – Ausflüge, an die du dich den Rest deines Lebens erinnern wirst.
Die Reise nach Absurdistan
Seit zehn Minuten starre ich nun schon mit strengem Blick auf den Bildschirm und weiß nicht so recht, wie ich die Ereignisse unseres kleinen Abenteuers am Mittwoch am besten in Worte kleide. Irgendwie war das nämlich alles ein bisschen seltsam.
Weitläufig bekannt: in der Schweiz gibt es Maut. Ebenso weitläufig bekannt: Tourer sind geizige Menschen. So war es selbstverständlich, dass unser Navi mit der Option „Maut vermeiden“ ausgestattet wurde. Die durchaus abenteuerliche Route, die uns rund um den zugefrorenen Schluchsee führte, war zwar schön anzusehen, aber auch unfassbar anstrengend zu fahren. Zeitlich waren wir auch unter Druck gesetzt, da wir alle kein Ticket hatten und die Mautumfahrung sich als zeitintensiver als erwartet herausstellte. Der Gedanke: wenn wir erstmal über der Grenze sind, wird das alles geschmeidiger. Spoiler: Fake News.
Ein paar eingeschneite Dorfstraßen weiter schienen wir endlich den Grenzübergang zu erreichen. Eingereiht zwischen anderen Autos rollten wir Richtung Zollkontrolle. Wie sollte es anders sein, während alle anderen Autos passieren durften, liefen die Zöllner zielstrebig auf uns zu und winkten uns hyterisch an die Seite. Woran das wohl lag? Ich hätte die gepiercte Grünhaarige auf dem Beifahrersitz, die Bandana-Trulla am Lenkrad und die verwirrte Blondine, die von der Rückbank aus ihren Kopf vorstreckte, bestimmt nicht verdächtig gefunden. Allein schon wegen dem riesen Ärzte-Heckscheibenaufkleber!
Zollkontrolle, Happy Birthday! Ich, voll im Wissen darüber, dass ich keinen Führerschein dabei habe, machte mich schonmal auf die Todesstrafe oder zumindest drei Jahre Ersatzhaft gefasst. Es begann eine heitere Fragerunde des Zöllners, wo wir denn eigentlich hinwollen. Er befürchtete im Verlauf des Gesprächs kurzzeitig, dass wir selbst das Konzert geben, wir konnten ihn jedoch beruhigen. Zumindest haben wir das getan, so gut wir überhaupt erst verstanden haben, was er uns sagte – dieses Schwiizerdütsch ist schon ein bisschen verrückt. Nach ausführlicher Kontrolle unserer Personalien habe ich ihm dann zu verstehen gegeben, dass in einem Tour-Auto so ein kleines Dokument wie ein Führerschein nicht unbedingt schnell aufzufinden ist. Von dieser Tatsache wenig beeindruckt musste ich mich an der Blinzelfront schon kräftig ins Zeug legen, dem Strafzettel zu entgehen. Kurzum: mit Schweißperlen auf der Stirn, einer fetten Ermahnung und einem Fahrverbot für die Schweiz konnten wir nach einer Viertelstunde weiter gen Zürich reisen. Mit Tina am Steuer.
Die Schweizer – ein Publikum der besonderen Art
Was ranken sich nicht die Mythen um das wilde Schweizer Publikum. Nach meinen bisherigen Erfahrungen kann ich dem tatsächlich auch zustimmen. Wenn bei Songs sogar die Instrumental-Teile mitgegröhlt werden, wie anderswo nur die großen Hits, dann ist das sicherlich ein Indikator für besonderes Herzblut bei den Fans. Dieser Eindruck hat sich auch am Mittwoch in Zürich mal wieder bestätigt, bei Scheissindiedisko, was im übrigen SCHON WIEDER beim Glücksrad gewann, war die Stimmung absolut Gänsehaut. Die „ohohoh“ Chöre, wie von Felix zurecht erwähnt, gibt es wirklich nur in der Schweiz.
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Die Silhouette einer sehr glücklichen Samira, bei einem der Dinge, die sie am liebsten tut. |
Allerdings gab es an diesem Abend auch jede Menge Dinge, die super anstrengend waren. Im Ernst, es muss nicht sein, dass bei jeder noch so abstrusen Stelle bei jedem noch so unpassenden Song ein Pit mit dem Durchmesser des Bodensees aufgerissen wird. Es muss auch nicht bei Balladen gepogt werden, als wären wir im Krieg. Versteht mich nicht falsch, Moshpits haben durchaus ihre Berechtigung und ich bin stets erfreuter Teilnehmer, aber alles zu seiner Zeit und vor allem an der passenden Stelle. Wenn ich bei keinem Song wirklich die Füße auf den Boden bekomme, weil ich wegen der überdimensionierten Pits (an denen dann effektiv fünf Leute teilnehmen) ständig an den Rand gedrängt werde, dann nervt das hart ab. Ab und zu sehe ich mir gerne einen Song am Rand mal einfach nur an, ohne dabei herumgereicht zu werden wie ein Stück Treibholz oder von vollgepackten Turnbeuteln erschlagen zu werden. Genau das war am Mittwoch selbst ganz außen zu keiner Zeit möglich. Prinzipiell, ja, geile Stimmung, andererseits auch willkürlich und anstrengend.
Noch schlimmer als all das war nur das Rudern. Leute, ernsthaft, mir fällt spontan nicht viel ein, was unhöflicher und dem Künstler gegenüber respektloser ist, als sich demonstrativ auf den Boden zu setzen und dämliche Ruderbewegungen zu machen. Ihr suggeriert damit nur eines: nämlich Langeweile. Ach, der Song geht grad nicht so steil, setz ich mich mal hin und sorge für Entertainment der anderen Art? Geht garnicht. Ein Phänomen, was mich schon auf Festivals stets frustriert. Gerade bei „Fan von Dir“ hat mich das in Zürich gestört – wir waren dann gerne die Arschgeigen, die mitten im Rudervolk standen und einfach nur mitgesungen haben. Ciao Danke.
Keine neue Setlist für Niemand
Euch interessiert nun sicherlich die Setlist aus dem Volkshaus. Leicht enttäuscht muss ich allerdings sagen: die Unterschiede zu den großen Shows waren minimal, so beliefen sie sich lediglich auf die Streichung von zwei Songs (einer davon mein Surfsong, danke Merkel). Den Setlist-Punkt werde ich ab sofort hier auch auslassen – meine Hoffnung, dass sich auf dieser Tour nochmal etwas Signifikantes ändert, habe ich hiermit ad acta gelegt. Schade eigentlich, aber kann man nichts machen. (Notiz: ich lasse mich natürlich jederzeit gerne vom Gegenteil überzeugen!)
Trotz all dem was jetzt vermutlich ziemlich negativ anmutet, war der Abend in Zürich Balsam für Herz und Seele, einfach wegen der Location: nach den großen Hallen wieder schweißüberströmt in einem Klub zu stehen, macht richtig Bock. Man rezipiert die Show eben ganz anders, weil es intimer und „echter“ ist – ich würde die großen Hallen ohne mit einer Wimper zu zucken für immer gegen schwitzige, kleine Venues tauschen. Aber welchem Fan geht das nicht so?
Fast schon schade, dass das die einzige Show dieser Art auf der Tour war. So in regelmäßigen Abständen ne Klubshow zwischen den Riesenhallen wäre schon eine Genugtuung, aber Touren ist halt kein Wunschkonzert!
Pleiten, Pech und Pannen #2
In meinem Post aus Bamberg habe ich euch schon ein erstes Mal mit den Tücken des Tourerlebens vertraut gemacht. Wer denkt, die Zollkontrolle der Hinfahrt war das einzige Chaos an diesem Abend, der irrt. Zwischendurch war ich noch kurz ohnmächtig, weil mich der Fuß eines Crowdsurfers (groß, blond, Sänger von Kraftklub) direkt auf die 12 traf und eliminierte. Direkt neben mir lag parallel Tina unter 15 Leuten begraben, als es bei „Am Ende“ zur Massenkarambolage kam. Herrlich sag ich euch. Im Ernst, im Nachhinein finde ich es wirklich lustig. Ein bisschen Verlust ist halt immer drin!
Das nächste Fiasko kam auf der Rückfahrt auf uns zu, als wir uns gerade (mal wieder) verfahren hatten und wenden wollten. Hinter uns blitzten die Lichter auf und wir wurden erneut von den Schweizer Polizisten bis aufs Äußerste auseinandergenommen. Wo kommen sie her? Wo wollen sie hin? Ach, ein Konzert? Von wem? Was machen sie hier auf der Straße? Digga, wir wollen einfach nur heim, lass gut sein.
Zweimal bei nur knapp 7h Aufenthalt von den Behörden gecheckt werden kriegt auch nicht jeder fertig. Wir fragen uns wirklich, ob wir irgendwie besonders kriminell aussehen? Dabei ist außer Tina niemand von uns tätowiert. Schwierig.
Jetzt gehts heute mit der Magdeburger Getec-Halle in eine der größten Venues der Tour. Da wird die rückblickende Wehmut auf das Konzert am Mittwoch schon groß. Große Hallen, große Skepsis. Ich bin gespannt, was das heute Abend wird und halte mich mit einer Prognose mal noch vorsichtig zurück.
PS: dickes sorry für die wenigen Bilder in den letzten beiden Beiträgen – momentan hab ich so den Fokus auf die Show, dass ich ganz vergesse, dass Anschauungsmaterial ganz nett wäre. Ich gelobe Besserung!