Puro Amor? Der Name ist Programm. Dann, wenn man am wenigsten damit rechnet, kommen die Broilers mit der richtigen Platte zur richtigen Zeit um die Ecke.
Alle wunden Punkte, die die Pandemie in mir in den vergangenen 13 Monaten aufklaffen ließ, wurden durch »Puro Amor« auf die unterschiedlichsten Weisen gefunden und gedrückt. Obwohl viele dieser größtenteils unfreiwilligen Emotionen so neu sind, fühlt sich das Album schon beim ersten Durchlauf an, als wäre es immer dagewesen, als würde ich äußerst liebgewonnene Musik zum 100. Mal hören.
Der Sound wirkt trotz der Produktion von Vincent Sorg unheimlich rund, gerade weil die Bläser perfekt eingesetzt sind und der typische, catchy Bausatz eines Broilers-Songs fast in jedem Track befolgt wurde. Als »Nicht alles endet irgendwann« den ersten Durchlauf einläutete, hat mich der wilde Einstieg mit den Bläsern sofort vor eine Bühne, mitten in einen Moshpit geworfen. Ich habs gefühlt wie seit einem Jahr nicht mehr: Die erste Gänsehaut, vielleicht sogar das erste Mal wieder wirklich optimistisch in eine postpandemische Konzert-Zukunft geblickt. Bei »Alter Geist« habe ich von Sekunde 1 an Kraftklub-Vibes verspürt, die mich zwar kurz verwirrt, aber dann ziemlich abgeholt haben.
»Trink mich doch schön« und »Schwer verliebter Hooligan« nehmen einen meiner Meinung nach auf eine akustische Reise in die musikalische Broilers-Vergangenheit mit, was generell auch für sehr viele Textzeilen auf dem Album gilt. Immer wieder wird hier auf sich selbst (oder eine frühere Version des Ichs und wahrscheinlich auch der Band) referenziert. Das ist für mich die Essenz der Corona-Zeit: Reflexion. Und die führt Sammy hier textlich sehr gekonnt aus. Ich bin mir sicher, dass hier mit der Zeit noch mehr kleine Anspielungen ihren Weg ins Ohr finden, denn das Album verspricht dahingehend totales Entdeckungspotenzial.
Dachbodenepisoden ist für mich wohl der beste deutschsprachige Depressions-Song seit Casper und der Song, bei dem ich dann auch ein paar Tränen vergossen habe. Ich habe ewig nicht so körperlich auf neue Musik reagiert. Das kam zwar unerwartet, ist aber ein tolles Gefühl.
Außerdem vereint »Puro Amor« einfach ungeheuer vielfältige Gefühle, ohne dabei sperrig zu werden und das Potpourri der Songs spiegelt gerade mein persönliches, coronabedingtes Kopf- und Emotionschaos gut wieder. Von Lachen bis Weinen ist alles dabei und ich bin mir sicher, dass mir dieses Album noch so manchen düsteren Tag retten wird. Es erscheint mir wirklich wie ein Stück Zeitgeschichte, als wären es vertonte Corona-Emotionen. Schlechte Zeichen brauchen eben doch einen Beat und »Puro Amor« fühlt sich für mich gerade an wie eine wärmende Umarmung nach einem kalten Winterspaziergang. Dabei bleibt es ohne Totalausfall, lediglich Porca Miseria fällt etwas ab.
Ich freue mich auf die nächsten 100 Runden mit diesem sehr schnell sehr liebgewonnenen Album und vor allem auf das, was die Broilers am besten können: Live.
Fazit: »Puro Amor« ist die Platte, die ich den Broilers nach den letzten beiden, eher schwächeren Alben Sic! und Noir nicht mehr so wirklich zugetraut habe – ein fataler Irrglaube! »Puro Amor« sollte man ab sofort immer in einem Atemzug mit Vanitas und Santa Muerte nennen. 5 von 5 möglichen Bandanas!