Falco-Ohrwurm zum Mitnehmen: Vienna calling, ohoh! Und der verheißungsvolle erste Eindruck von der Stadt und ihrer Halle hält, was er verspricht.
Als wir nach Wien aufbrechen, sind wir latent genervt von der immer noch sehr langen Fahrtzeit, die uns bevorsteht, obwohl wir ja schon sehr südlich starten. Wir tragen Pullover und reisen vom deutschen Herbst direkt ins österreichische Winterwonderland, denn schon kurz nach der Grenze blicken wir in schneebedeckte Baumwipfel. Untermalt von fragwürdiger Musik (ich möchte nicht näher darauf eingehen, aber bei den Söhnen Mannheims lohnt sich mittlerweile ein Aluhut, oder?) lassen wir uns von Markus gen Wien kutschieren. Im noblen Audi wissen wir gar nicht, wie uns geschieht, so luxuriös fühlt sich diese Reise für uns an.
Neuer Städtepunkt freigeschaltet
Als wir durch das pittoreske und abseits der absurd zahlreichen Laufhäuser wirklich wunderschöne Wien fahren, frage ich mich erstmals, warum ich Wien bislang bei jeglichen Touren ausgelassen habe. Trotz des Weihnachtsschmucks, den ich als Grinch vehement ablehne, ist die Stadt eindrucksvoll. Ich gehe sogar so weit zu sagen: Wien ist das, was Paris vorgibt zu sein. Kulinarisch weiß Wien uns außerdem mit einem übergroßen und köstlichen Schnitzel zu überzeugen. Aber da das hier kein Reiseblog ist, zurück zum Konzert.
Auch für die Stadthalle kann ich nur Worte des Lobs finden: Direkt im Herzen Wiens befindet sich ein großer Hallenkomplex, der mit Locations in verschiedenen Größenordnungen aufwarten kann. Kraftklub bespielen die größte der Optionen und schon im Foyer werden wir mit der Wiener Dekadenz vertraut gemacht: Da gibt es Stände mit Schokofrüchten am Spieß oder Zuckerwatte, daneben original Mannerwaffeln zum Schnäppchenpreis. Wir sind angetan, gerade nach zwei Tagen im lieblosen Industrie-Loch Zenith. Weiter überzeugen kann uns das Innenleben der Halle, das von der Größe her den deutschen Äquivalenten Lanxess, Barclaycard oder SAP entspricht. Lediglich der dritte Rang ist abgehangen, die Zuschauermassen dennoch beachtlich. Die Bühne des Kraftklubs indes scheint genau für solche Hallen gemacht zu sein: Denn die quadratische Kargo-Stage braucht für meinen Geschmack einfach Ränge, um ihre volle Strahlkraft zu entfalten – das haben die beiden Abende in München unter Beweis gestellt.
Kraftklub können groß
Die Messlatte liegt mit diesen Voraussetzungen schon mal sehr hoch, dazu kommt, dass es sich um die einzige Österreich-Show der Tour handelt. Die Erwartungen der Fans aus Austria sind dementsprechend sicher noch eine ganze Schippe größer als unsere und die Band steht unter Zugzwang. Aber können sie so einer großen Halle gerecht werden? Ich mach es kurz: Verdammt, ja.
Einerseits würde ich Kraftklub gerne immer in kleinen, schwitzigen Clubs sehen und mich zu alten Schinken wie „Schlagerstars“ prügeln. Andererseits lacht mein Herz wirklich laut auf, wenn ich Zeugin werde, wie diese Kombo eine Halle dieser Art um den Finger wickelt. Da macht es auch nichts, dass die Menge wie schon in München nicht wirklich aufmerksam den Ansagen lauscht, denn abseits dessen ist die Stimmung wirklich hervorragend und Brummer hat die Crowd zu jeder Zeit voll im Griff.
„Mein Leben“ beerdige ich heute endgültig als Surfsong, denn auch in Wien ist das Publikum im ersten Wellenbrecher nicht ganz so stabil unterwegs. Gut, dass ich da meiner Intuition vertraut habe – nicht, dass ich noch gestürzt wäre. Kleiner Scherz am Rande, für alle, die dabei waren. Alle anderen können ab jetzt entspannt weiterlesen und sich darauf freuen, wie ich später tatsächlich noch eine Bruchlandung hinlege.
Was Toten-Hosiges gefällig?
Meine Lieblingsansage ist heute die zu „Teil dieser Band“, als Felix das Publikum vorwarnt, dass sie nun etwas „toten hosiges“ machen wollen. Die Germanistin in mir klagt, aber er meinte damit den langen „ohhhh-Chor“, über welche er sich bei den Hosen schon in der Vergangenheit häufig lustig machte. Ich habe dazu, abseits meiner Belustigung und meinen Jubelrufen, zwei Anmerkungen zu machen:
1) Brummer, du weißt aber schon, das ihr mittlerweile fast genauso schlimm seid, was solche nervigen Chöre angeht, oder? „Wie ich“ und „Blaues Licht“ schicken Grüße.
2) Wenn ihr schon die Hosen trollt, dann spielt halt endlich mal das „Tage wie diese“ Cover, das Karl immer leicht sarkastisch beim Glücksrad andudelt. Wir wären ready as fuck und unser ewiger Dank sei euch sicher!
Das Glücksrad wird zur Kindertagesstätte
Aber apropos Glücksrad, schon wieder wird aus der Menge ein Kind herausgedeutet, um am Rad zu drehen. Das nervt, denn wir sind auf einem Konzert, nicht bei den fucking Wiggles oder der KiTa. Klar nervt es genauso, dass Glücksraddrehen mittlerweile zum Volkssport geworden ist und zig Leute allabendlich Banner dafür vorbereiten, aber der „Süßigkeitsfaktor“, den Kinder in dieser Rolle offenbar haben sollen, entgeht uns jeden Abend. Die meisten der Kinder kennen ja nicht mal die Songs.
Kein Fan dieser Sache, weil ich auch generell finde, dass Kinder unter 14 nicht zwingend etwas im ersten Wellenbrecher einer Rockshow zu suchen haben, aber gut, ich bin nun auch nicht gerade das, was man im Volksmund kinderlieb nennt. (Für Shitstorms dürft ihr euch jederzeit per PN an mich wenden!)
Gedreht wurde schlussendlich „Irgendeine Nummer“ und so langsam wäre mir die Indiedisko dann doch lieber gewesen. Das Glücksrad scheint mir ohnehin nicht allzu ausbalanciert zu sein auf dieser Tour, ich hoffe, es handelt sich hierbei nicht um gemeinen Betrug.
KMS, wir haben dir unrecht getan!
Es ist Zeit, hier einen Song zu ehren, der für sehr lange Zeit zu unseren ganz großen Nervensägen im Set gehörte. Ein Song, der mich eigentlich schon seit vielen Jahren nur noch mit den Augen rollen lässt. Ein Song, über dessen Streichung aus dem Set ich vor der Tour vermutlich noch frenetisch gejubelt hätte: Karl-Marx-Stadt. Seit Jahren rotieren Kraftklub den Song über ihre Heimat wild durch ihre Sets und versuchen, den richtigen Platz für ihn zu finden. Ob mittendrin oder gar als Opener wie auf den Festivals 2018, so richtig geglückt ist dieses Unterfangen nie und man war meistens froh, wenn man das zähe Stück hinter sich hatte. Auf der KARGO-Tour ist nun das Unglaubliche geglückt: Als Opener nach dem Publikums-Teil ist KMS genau der Aufmacher, den das letzte Showdrittel braucht. Die hochfahrende Haube gepaart mit den zahlreichen Bengalos ist nicht nur schön anzusehen, sondern schwört auch auf den wilden Schlussteil der Show ein. Selten erlebt, wie eine Inszenierung einen Song so aufwerten kann. Chapeau!
Die Chronik eines Absturzes
Nachdem „Mein Leben“ kurzzeitig aus dem Set verschwunden war, war ich in der vergangenen Woche dazu gezwungen, mir einen neuen Surfsong zu erwählen. Da der gute Mike Skinner direkt vor Liam kommt (und an diesem Surf nun wirklich nichts und niemand rütteln kann) fiel die Wahl auf „Schüsse“. Ein Song, den ich schon immer sehr mag und der mit dem neuen Intro auf der Tour besonderen Spaß macht.
Machen wir es kurz, wenige Meter vor der Bühne ließen die Kräfte der Menschen unter mir nach und ich krachte zu Boden. Sehenden Auges zum Glück, sodass ich Platzwunden und schlimmeres vermeiden konnte. Während ich am Boden lag, sahen mich die Jugendlichen um mich herum verwirrt an, bis ich sie anbrüllte, das sie mich vor dem Hereinbrechen des Refrains vielleicht mal aufheben sollten. Leider symptomatisch für ein sehr junges Publikum, das die Gefahren und Situationen auf einem Konzert weder kennt noch adäquat einschätzen kann. Speaking about Gefahren: Ich habe meinen Surf zum Trotz doch noch fortgesetzt und schließlich vollendet. Warum mich all das so belustigt? Seht einfach die drei Bilder, die jeweils kurz vor, während und nach dem Absturz aufgenommen wurden. I bims, der Phoenix aus der Asche!
Urleiwand, so sagt man doch in Wien, oder?
Kurzum: Hervorragender Abend in Wien. An den Pits kann man noch arbeiten, aber die Stimmung war wunderbar und auch die Band hielt sich mit groben Verspielern ausnahmsweise zurück. Wien, das war urleiwand!
Während sich die Band in einer Ansage überschwänglich für Show und Support bedankt und ihren Weg vom kleinen Klub in Lustenau zum Ausverkauf dieser Halle nachzeichnet, komme auch ich in Sentimentalitäten. Seit 2012 gehe ich jetzt schon ein verdammt langes Stück mit diesen Boys, die damals noch ganz schön grün hinter den Ohren waren. Jetzt sind sie also waschechte Headliner und ich finde sie immer noch toll, obwohl sie weder damals noch heute in meinen Musikgeschmack passen. Sie sind halt besonders und das finde ich auch im zehnten Jahr des Fantums noch wunderbar, auch wenn ich hier auf dem Blog immer etwas auszusetzen habe. Große Fans sind eben auch große Kritiker. Abseits dessen: Große Liebe.