Es ist Montag, wir sind auf der Autobahn. Durch die verdammt weite Wien-Reise und den anschließend bitternötigen Offday habe ich natürlich nicht gebloggt. Als ich irgendwo zwischen Waghäusel und Düsseldorf lautstark Langeweile verkünde, ermahnt mich Inga in bester Mutter-Manier, dass ich ja noch was zu tun hätte. Mit einem Seufzer nehme ich das MacBook zur Hand und versuche, mich an München zu erinnern, schließlich ist sie nicht die erste Person, die freundlich aber mit Unterton nachfragt, wo denn eigentlich die letzten Berichte bleiben.
Das Publikum ist textsicherer als am Vorabend
Wie angenehm es während einer Tour doch ist, wenn eine Stadt zweimal bespielt wird und man des nachts nicht noch gestresst über die Autobahn hetzen muss. Für uns bedeutete das angenehmes Weißwurstfrühstück bei Markus, unweit von München. Außerdem steht bei Doppelshows immer die Frage im Raum, welche Show denn nun die bessere war und es macht unheimlich Spaß, jeden Aspekt der beiden Konzerte miteinander zu vergleichen. Die erste große Gemeinsamkeit der beiden München-Gigs ist das in beiden Fällen leicht ignorante Publikum, das sich aus Ansagen nicht allzuviel zu machen scheint. Doch während der Altersschnitt am Donnerstag noch angenehm hoch war, ist bei der Freitagsshow ein deutlich jüngeres Publikum am Start. These: Die Kiddo-Fans haben alle sofort beim Vorverkauf zugeschlagen und die Zusatzshow am Donnerstag war dann eher mit den Oldschool Fans aufgefüllt.

Den ersten großen Hypemoment erlebe ich, als der dritte Song des Sets ertönt: „Mein Leben“ fand nach zwei Shows endlich den Weg zurück ins Set. Vor 9 Jahren machte ich zu diesem Song meinen ersten Crowdsurf bei Kraftklub und auch heute möchte ich mir das nicht nehmen lassen. Doch der Spaßfaktor hält sich in Grenzen, denn das Publikum der Reihen 2-10 besteht nahezu ausschließlich aus sehr jungen, sehr kleinen Menschen die vorrangig mit der Befüllung ihres TikTok-Accounts beschäftigt sind. Holprig bahne ich mir den Weg gen Graben und beschließe, es mit diesem Song vielleicht echt bleiben zu lassen – denn kurioserweise können die jüngeren unter den Konzertbesuchenden nicht allzuviel mit ihm anfangen. Anders ausgedrückt: Die meisten kennen ihn nicht mal. Das in Kombination mit der sehr frühen Platzierung im Set macht es zu einem sehr schwierigen Unterfangen, den Song so zu feiern, wie ich es am liebsten tue. Zahlreiche Leute kennen wirklich einen der großen Hits der „Mit K“ nicht? Ich fühle mich plötzlich sehr alt.
Niemand braucht Icona Pop-Cover
Nichtsdestotrotz war die Stimmung am Freitag deutlich besser: Man schien sogar KARGO zu kennen. Die Chöre, gerade zu den Singleauskopplungen, sind sehr laut und damit auch recht beeindruckend. Generell ist die Halle um einiges voller, als sie das noch am Vorabend war. Das gilt auch für den ersten Wellenbrecher, der am Donnerstag noch etwas mager bestückt war. Jetzt ist er ordentlich vollgestopft mit Menschen, die sich die ersten Songs über erstmal nur von links nach rechts schieben. Erst später im Set bessert sich die Pit-Lage, sodass man auch mit Freude am Geschehen teilnehmen will.
Aber sprechen wir nochmal über die Setlist: Wir haben es bereits befürchtet, dass mit dem Ausscheiden von PowerPlush als Vorband auch „Kein Gott, kein Staat“ wackeln könnte. Leider wurden wir in dieser Annahme bestätigt, denn anstatt eines hervorragenden KARGO-Songs bekamen wir mit „I love it“ ein uraltes Cover, das schon zu KNFN-Zeiten jetzt nicht gerade eine Sensation war. Schlechtester Tausch seit D-Mark gegen Euro! Wir hoffen darauf, dass nur keine Zeit für eine Probe da war und spekulieren gierig auf Wien, denn dieses Icona Pop Cover ist wirklich eine fette Kröte im Set. Schade, dass an diesem Abend das Glücksrad nicht auf den Koversong gefallen ist, sonst hätten wir vielleicht mal ein neues Cover bekommen. Selbst wenn es nur „Schrei nach Liebe“ gewesen wäre, alles besser als Icona Pop.

Den Moment, als „Chemie“ ein Überhit wurde, haben wir verpasst
Wo wir gerade bei Dingen sind, die wir nicht verstehen: „Chemie, Chemie, ya“ – Hilfe, wie unfassbar laut ist die Crowd jeden Abend bei diesem Song? Das ist imposant und absolut erwähnenswert, wie beinahe JEDER Konzertbesucher diesen Song aus voller Seele mitrappt. Uns ist das unerklärlich, weil er uns selbst zu KNFN-Zeiten nicht sonderlich überzeugen konnte und eher unter der Kategorie „Radiogedudel“ einsortiert wurde. Beeindruckend.
Auch München II war ein wunderbarer Abend, auch wenn wir persönlich am ersten Abend mehr Spaß hatten, was aber eher an der angenehmeren Pitsituation und weniger an der Band liegt. Die scheinen sowieso die Zeit ihres Lebens zu haben. Die RocknRoll-Regel, das die zweite Show per se die bessere ist, stimmt also auch für München, wenn man unsere vollumfänglich Subjektiven Eindrücke außenvor lässt.
Ich stelle mir irgendwann während der Show die philosophische Frage, wie einem ein Hobby auf der einen Seite so unfassbar viel Energie geben kann, obwohl es einen auf der anderen Seite körperlich gleichzeitig ruiniert. Halten wir also fest: Touren gibt mir neben Lebenssinn auch sehr viel positive Vibes mit, macht mich in nur wenigen Shows allerdings körperlich zu einer sehr alten Frau, die aus Überforderung schlafwandelt. Scheint mir ein fairer Deal.