Erste Show im Moshpit, jetzt ist so wirklich und vollumfänglich der Tourmodus aktiviert.
Ein Offday, der bitter nötig war
Drei Shows in der ersten Reihe sind Geschichte und der Offday in Hamburg war mehr als nur nötig. Ihr macht euch keine Vorstellungen, wie unspektakulär wir unseren freien Tag in der Hafenstadt verbrachten: Im Fokus standen auf jeden Fall sehr viele Nickerchen und zahlreiche Snacks. Weil die Gier auf eine richtige Mahlzeit, so mit Besteck und an einem Tisch eingenommen, auf unserer Prioritätenliste ganz oben stand, erledigten wir dies direkt nach Ankunft. Nach dem Verzehr eines übergroßen Schnitzels fühlten wir uns dann bereit für einen entspannten Tag im Bett mit amerikanischen Prince Charming Folgen und sehr vielen Snacks.
Die Erholung war bitter nötig, denn während Corona ist uns durchaus abhanden gekommen, dass Touren ordentlich in die Knochen geht. Da war ein Tag im Bett genau das richtige, bevor das erste Bad in der Menge auf dieser Tourrutsche anstand. Wie angenehm so ein Tag „von hinten“ sein kann, das erfuhren wir am Montag am eigenen Leibe. Während ich mich der Arbeit aus dem mobile Office widmete, gab sich Inga weiteren, zahlreichen Nickerchen hin, die ich mit einer großen Portion Neid beobachtete. Dennoch war der Tag im Hotelzimmer (welch Dekadenz!) deutlich entspannter als ein Tag vor der Halle, alleine schon wegen infrastruktureller Gegebenheiten wie Badezimmer. Auch solche Dinge muss man auf Tour wertschätzen.
Ein Perspektivwechsel kann so gut tun
Nachdem wir zu sehr später Stunde gemütlich an der Halle aufschlugen, wagten wir einen kleinen Blick auf die Ränge der Hamburger Sporthalle. Eine erste Überwältigung machte sich breit, denn der Innenraum wirkte absurd groß und schon zu Power Plush massiv überfüllt. Da zu keiner Zeit kontrolliert wurde, ob man eine Innenraum oder Rangkarte hat, erklärt sich dieses Phänomen ganz von selbst. Wir lauschten der Vorband aus angenehmer Distanz und begaben uns erst in die Halle, als schon „Mr. Brightside“ lief, ein Song aus der Prä-Gig-Playlist, der immer ankündigt, dass das Kraftklub-Konzert schon ganz bald bevorsteht.
Wir stellten uns in den linken seitlichen Bereich neben der Bühne, der aufgrund des Aufbaus eine Art 360 Sicht ermöglicht und was vermutlich der einzige Ort im Innenraum der Sporthalle war, an dem man halbwegs atmen konnte. Mit strahlenden Augen beobachteten wir den ersten großen Einsatz der weißen Haube, die von der Seite noch einmal ganz anderen Eindruck macht. Es erfüllt mich mit Stolz, die fünf Dullis auf so einer unfassbar coolen Bühne zu erleben. Schon schön, die Lieblingsband groß werden zu sehen, wenn man sich an die frühen Tourerjahre um 2013 zurückerinnert, wo das Hinsetzen bei „Randale“ noch das einzige signifikante Showelement war. Hach, ich werde nostalgisch. Zurück nach Hamburg.
Wildes Hamburger Publikum ist wild, sehr.
Mit Freude erfüllt einen auch das Hamburger Publikum: Mein lieber Mann, ist da was geboten. Lautstärke und Textsicherheit sind von der ersten Minute an on point und auch im Moshpit, den wir erst zu „Eure Mädchen“ entern, geht es wild zu. Nennt mich langweilig, aber bei einem Innenraum dieser Größe dürfte es da gerne einen offenen Wellenbrecher geben – die Dynamiken, die während der Show entstehen, sind teilweise schon grenzwertig wild, was man auch an den häufigen Massenstürzen sieht.
Auch die Moshpit-Bereitschaft ist in Hamburg auf Anschlag. Da werden Pits aufgerissen, wo sie nun wirklich überhaupt nicht hinpassen (Angst!) oder einfach am Ende eines Songs (Blaues Licht), sodass die Band aus Mitleid noch einen Refrain spielen muss, damit sich die Menge entladen kann. Das ist definitiv das beste Publikum dieser Tour bereits. Wie Brummer so schön sagte: Ist halt eine Großstadt.
Das Setlist-Karussell dreht sich weiter
Bei einer Show in der Menge gehören für uns auch die obligatorischen Crowdsurfs dazu. Mittlerweile hat jeder von uns seine festen Lieblingssongs, bei denen er in den letzten Jahren immer in die Höhe stieg, wenn denn mal eine Pit-Show anstand. Inga beschloss, mit „Kein Gott, kein Staat, nur Du“ einen neuen Song in ihr Repertoire aufzunehmen und erwartete diesen besonders freudig – musste dann aber ganze sechs Lieder darauf warten, weil die Setlist mal wieder ein bisschen durchgewürfelt wurde. Traurig wie ein Kind, das im Supermarkt den Lolli nicht bekommt, übte sie sich also brav in Geduld.
Einen besonderen Moment gab es durch die Sängerin Maryam, deren Vater aus dem Iran stammt und die über die Situation dort berichtete. Es war gespenstisch still in der Halle als sie ihren Vortrag hielt, was nicht unbedingt üblich ist, weil normalerweise immer die obligatorischen Suff-Dudes solche ernsten Momente verhageln müssen. Maryam sang im Anschluss an ihre Rede auf Farsi einen Song eines iranischen Liedermachers, während das Publikum das Peace-Zeichen zeigte und ihr mehr als nur den nötigen Respekt erwies. Toll, dass der Klub solchen Menschen mit ihren extrem wichtigen Botschaften eine Bühne bietet – obgleich die Stimmung danach erstmal ein bisschen eingefroren war, da der Cut von wilde Punkshow zu ernster Lage nicht unbedingt einfach zu meistern war. Nach einem Song pendelte sich das allerdings wieder ein.
Wie gut diese Band aktuell drauf ist, macht mich happy
Wir müssen über das neue Intro zu „Schüsse in die Luft“ sprechen. Erstmals gehört haben wir es in Chur und wir waren, vorsichtig ausgedrückt, latent verwirrt darüber. Was soll das sein? Gibt es einen neuen, unbekannten Song? Ist es ein uralter Schinken, dessen Liveklang wir nicht mehr kennen? Gibt es eine Überraschung? All das waren Fragen, die uns damals im Kopf herumschwirrten, bis wir endlich das sanft angedeutete Schüsse-Riff heraushörten. Richtig große Nummer, die den sowieso starken Song noch besser in Szene setzt.
Abend vier ist gelaufen und falls ihr noch mit euch am Hadern seid, ob ihr eine der Shows mitnehmt, kann ich euch nur eine explizite Empfehlung aussprechen. Nein, das ist keine bezahlte Werbung (leider, haha) und ich bin vielleicht nicht unbedingt die objektivste Rezensentin was Kraftklub angeht, aber den Riesensprung, den die Band mit dieser Tour hinlegt, kann man kaum wegleugnen. Diese Show ist für sich alleine schon extrem sehenswert und die Spielfreude der Band sollte auch ihre Kritiker in den Bann ziehen können. Also, wenn ihr beispielsweise zu den zahlreichen Leuten aus meinem Heimatdorf gehört, die sich leidenschaftlich gerne über Kraftklub lustig machen, dann beweist mal Eier und fahrt einfach hin, Schwarzmarktkarte und ab dafür. Wenn ihr danach immer noch Witze macht, dass die Band ja nix kann, bin ich für immer still. Aber ich bin mir sicher, dass ihr genauso beeindruckt sein werdet, wie ich es bin. Jeden Abend bislang.