München I. ist Geschichte und damit ist auch das erste Drittel dieser Tour offiziell abgehakt.
Der Preis für das ignoranteste Publikum ist bereits vergeben
Arrogantes Schickeria-Publikum, das sich während Ansagen gerne mit der Begleitung unterhält; gepaart mit einer durchweg oberkörperfreien Salami-Party im Moshpit: So würde ich die Besuchenden der ersten München-Show kurz und knapp charakterisieren. Man kam bei der Show nicht umhin, die deutliche Publikumsveränderung im Vergleich zu den anderen Konzerten der Tour wahrzunehmen.
Wie schlimm es um das Publikum wirklich steht wurde mir spätestens klar, als in einem sinnlos während der Ansage aufgerissenen Pit plötzlich gerudert wurde. Konzertbesuchende setzen sich hin und tun so, als wären sie auf einem Boot im Wasser, rufen dazu „hu!“ und halten sich dadurch für Stimmungskönige. Leider ätzendes Phänomen, das sonst vornehmlich in der Schweiz auftritt. Da wird es mir generell ganz anders, denn diese Tugend gehört für mich an jedem Ort mit Konzertausschluss bestraft, aber das sei nur am Rande erwähnt.
Im Pit befanden sich in München sehr viele, sehr nasse junge Männer, die offenbar eine große Portion Energie zu viel hatten und der „Für starke Typen ist hier kein Platz“-Ansage von Felix zum Trotz darauf aus waren, um jeden Preis unnötige Pits aufzureißen. Wahrscheinlich haben sie die Ansage nicht mal gehört, denn in München wurde sofort das Reden angefangen, wenn gerade kein Song lief.
KARGO scheint den Weg in die bayerische Landeshaupstadt noch nicht gefunden zu haben
Der Geräuschpegel im Zenith war immens und ich finde wenig anstandsloser, als solch ein Verhalten. Wenn ich ein Konzert besuche, dann komme ich nicht nur für die Musik, sondern auch für den Künstler und seine Botschaft. Wenn ich mir die nicht anhöre oder sie mich gar nicht erst interessiert, bin ich ein oberflächlicher Ignorant: Denn Konzerte bestehen aus viel mehr als nur Musik. Aber vielleicht hat mich mein Job beim Kulturradio diesbezüglich mittlerweile einfach versaut und ich bin überempfindlich.
Zurück zur Show: Die Stimmung war generell nicht ganz so freudeschäumend wie in einigen der anderen Tourstopps. Abseits der Singles hatte ich auch den Eindruck, dass die KARGO den Weg nach Bayern noch nicht so richtig gefunden hat, denn um mich herum taten mehrfach zahlreiche verwirrte Leute kund, dass sie die Songs nichtmal kennen.
Meckern auf hohem Niveau
Das klang jetzt alles wieder fürchterlich negativ, obwohl wir gestern erneut einen sehr schönen Abend verbracht haben. Man muss es sich durchaus eingestehen, dass hier Meckern auf hohem Niveau betrieben wird, denn in Summe ist das Set unheimlich rund und die Bühne tut extrem viel dafür, dieses Niveau noch weiter in die Höhe zu treiben. Die Spielfreude der Band (und vor allem der wie ausgewechselte Karl, big shoutout) machen einfach Laune und ich habe nicht den Eindruck, dass sich daran etwas ändern wird. Im Gegenteil, ich beobachte eigentlich, wie wir jeden Abend mehr Spaß in der Crowd haben, trotz aller widrigen Umstände, die sich manchmal eben so ergeben.
Ja, früher war ich mal ein Kind der ersten Reihe und konnte es mir auch überhaupt nicht anders vorstellen. Mittlerweile fühle ich mich im Pit aber mindestens genauso wohl, aktuell sogar noch viel wohler. Gerade bei dieser Show lohnt es sich doppelt, weil einem von vorne viele Details der Show gänzlich entgehen – beispielsweise der imposante Part in „Angst“.
Dieser Teil, so sehr ich ihn liebe, beschäftigt mich aber allabendlich sehr, denn er frisst extrem viel Zeit im Set und nimmt doch ziemlich die Luft raus. So beeindruckend die Einlage auch sein mag und so wichtig die Message des Songs ist – nicht gerade alle der Besuchenden mögen dieses Lied oder können etwas mit der Inszenierung anfangen. Da geht jede Menge Zeit drauf: Vorhang senkt sich, Karl muss die Leiter hoch, währenddessen 2-3min nur leichte Soundeffekte. Dann langsamer Start des Songs, danach wieder knappe 2min peinliche Überbrückungsversuche von Felix, bis es im Set weitergehen kann. On top kommt die Tatsache, dass der Song nicht gerade ein Partyhit ist. Wäre es da nicht schlauer, 500K davor zu platzieren, um zumindest eine der unangenehmen Pausen zu minimieren? Es stellt sich wirklich die Frage, ob Aufwand und Ertrag da in einem gesunden Verhältnis stehen. Das wäre eine Stelle, für die man sich wirklich etwas überlegen sollte, anstatt random altbewährte Songs aus dem Set zu streichen.
Long story short: Mal wieder einen fantastischen Abend beim Klub verbracht, der zwar von den Rahmenbedingungen her eher schwierig war, aber dennoch sehr viel Spaß gemacht hat. Alleine der geschlossene Wellenbrecher hat der Gesamtsituation einen großen Gefallen getan. Schon jetzt ist die Laune auf den nächsten München-Gig groß, besonders weil wir nicht groß durch die Weltgeschichte fahren müssen und einfach mal an Ort und Stelle bleiben können.
Eine ewige RocknRoll-Regel besagt, dass bei einer Doppelbespielung einer Stadt immer der zweite Abend besser ist. Schaumamal, wie der Bayer so schön sagt, ob das auch in München so ist.
Nach einem Drittel der Tour bleiben zahlreiche Fragen
Langsam aber sicher lässt mich die Setlist etwas ratlos zurück. Ja, es ist die „KARGO-Tour“. Ja, eine Band möchte ihre neuen Songs spielen. Ja, einige der alten Songs sind ausgelutscht. Bei all diesen Punkten gehe ich völlig d’accord mit dem Klub. Genau deshalb finde ich es wichtig, zu Beginn einer Tour mit dem Set zu spielen und auszutesten, wie welche Elemente im Saal ankommen.
Genau das hat die letzten Shows auch stattgefunden – Stete Rotation im Set. Allerdings frage ich mich langsam, ob man auch an den richtigen Stellschrauben tätig wird. Es gibt einige Songs, die im Publikum konsequent überhaupt nicht ankommen, in keiner Stadt. Macht es dann Sinn, an diesen auf Teufel komm raus festzuhalten? Tut es denn wirklich Not, das komplette Album zu spielen, wenn bei einigen dieser Songs jeden Abend lieber mit dem Nebenmann gequatscht wird, als den Song zu feiern?
Versteht mich nicht falsch, für mich als Dauergast ist es eigentlich immer geil, neue Songs zu hören, die man noch nicht 4546 mal gehört hat. Aber dennoch verstehe ich einige Set-Entscheidungen zunehmend überhaupt nicht mehr. Da fliegt mit „Mein Leben“ ein Hit der ersten Stunde raus, während Songs, die allabendlich die Stimmung extrem herunterkochen, drinbleiben dürfen. Das ist extrem schade und ich hoffe, dass die Band das noch rechtzeitig erkennt. So viele Songs von der KARGO werden frenetisch gefeiert, so viele Singles sind sofort zu Hits geworden. Da ist es keine Schande, wenn man sich vom Füllmaterial der Platte live trennt und auch den Fans der ersten Platte ihre Zuckerstücke gönnt.
Eine kurze, allgemeine Bilanz nach dem ersten Drittel der Tour: Mein Hirn kommt nicht klar
Man sollte meinen, dass sechs Shows schnell an einem vorbeiziehen, zumindest war das in der Vergangenheit häufiger der Fall. Doch dieses Mal erleben wir die Tour als viel intensiver und haben das Gefühl, dass wir schon mindestens zwei Wochen unterwegs sind. Für mich wird das vor allem daran spürbar, dass mein Hirn nicht mit der Verarbeitung hinterherkommt – was sich in Schlafwandeln äußert. Dass ich Schlafwandlerin bin, begleitet mich schon mein ganzes Leben und ich habe immer Episoden, wo ich monatelang ziemlich unauffällig bin und dann wieder häufiger des nachts kuriose Dinge tue. Seit Tourstart eskaliert es allerdings ziemlich, ein kurzer Abriss:
- In Kiel angekommen haben wir im Auto genappt, ich habe panisch Inga geweckt und geschrien
- Nach der Lingen-Show habe ich im Hotel das Bett verlassen und den Vorhang aufgerissen
- In Hamburg habe ich Dinge vom Nachttisch geworfen und grundlos herumgeschrien, Inga weiß aber nicht mehr genau, was
- Nach der München-Show habe ich drei mal sehr laut „HALT!“ gerufen und wurde wach, wie ich mitten im Raum stand
Häufig weiß ich am nächsten Tag nichts mehr von diesen Einlassungen und erinnere mich nur dunkel daran, wenn mich jemand explizit darauf anspricht. Wenn ich doch mal beim Schlafwandeln wach werde (wie heute Nacht), dann habe ich einen ziemlich hohen Puls, bin verwirrt und peinlich berührt, weil ich genau weiß, dass ich wieder was Dummes gemacht habe. Circa 30 Sekunden später schlafe ich wieder.
Klingt also alles schlimmer, als es ist, aber ich finde spannend zu beobachten, wie diese Tour und ihre Eindrücke offenbar mein Hirn triggern. Zuletzt bin ich so heftig geschlafwandelt, nachdem ich im Frühjahr eine Woche in New York war. Ich halte euch auf jeden Fall auf dem Laufenden, wie sich das entwickelt. Falls Schlafforscher unter euch sind: Ich sollte vielleicht mal einen aufsuchen, also slidet gerne in die DMs.