Sonntagmorgen, 13 Uhr. Ich öffne meine Augen im heimischen Bett und ziehe mir noch einmal die Decke über den Kopf, um mich vor den hereinströmenden Sonnenstrahlen zu schützen. Zwickau ist für mich gerade weiter weg als der Mond und ich bin mir im Klaren darüber, dass ich heute definitiv keine vier Stunden in den Osten fahre.
Ich sage allen ab, kuschle mich auf der Couch ein und freunde mich mit einem entspannten Tag nebst durchschnittlichem Fernsehprogramm an. Gegen 15 Uhr schaue ich interessehalber nach, wie lange ich aktuell nach Zwickau brauchen würde, nur um mich darüber zu freuen, nicht ins Auto steigen zu müssen.
Eine halbe Stunde später sitze ich, von wahnsinniger Euphorie getrieben, am Steuer meines Fiestas und presche gen Autobahn. Die Worte meines Kerls, „Ich habe nie daran geglaubt, dass du zuhause bleibst“, hallen noch in meinen Ohren, als ich die Auffahrt zur A6 nehme. Ich bin natürlich nicht zuhause geblieben.
Wieder auf der Autobahn – immer dasselbe.
Auch wenn mir das keiner glaubt, ich hatte wirklich vor, die Show aus Bequemlichkeitsgründen auszulassen und mir auf der Couch einen Coolen zu machen. Oberflächlich war dieser Gedanke auch sicher vernünftig, aber mein Herz schlägt für solche faulen Ausreden einfach eine Nummer zu leidenschaftlich. Der Gedanke, eine möglicherweise sensationelle, famose Show zu verpassen (Spoiler: sie war es nicht), bricht mir eben dieses fanbebrillte Herz.
Die Fahrt war zäh, von Baustellen gepflastert und bis zuletzt war ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt den ersten Song hören würde. Meine spontane Reise wurde aber von Erfolg gekrönt, so betrat ich pünktlich zu „Keine Macht für Niemand“ den Innenraum. Erster Gedanke: Wow, was ist diese Stadthalle eigentlich für eine schöne Location?
Wenn ich nicht sicher wüsste, dass ich schonmal da war, würde ich es nicht glauben. Wahrscheinlich hatte ich damals, als wir bei -16 Grad den Tag vor der Halle verbrachten, einfach Gehirnfrost, als ich endlich ins Warme kam. An die Show kann ich mich ehrlicherweise ebenso nicht mehr wirklich erinnern. Auch das sind Seiten des Tourens: Es gibt Shows, von denen weißt du sicher, dass du da warst, aber hast keinerlei Erinnerung mehr daran.
Nichtsdestotrotz war die runde Stadthalle bis auf den letzten Platz voll und versprach ein gutes Konzert. Die ersten stimmungstechnischen Zweifel hatte ich allerdings, als ich mich bei Hallo Nacht springend Richtung Mitte aufmachte, um die anderen zu treffen: Mitsingend, hüpfend, Spaß habend wurde ich am Rand nämlich angeschaut, als hätte ich Arschloch auf der Stirn stehen. Willkommen im Osten!
Hey Zwickau, ich hab da mal ne Frage!
Was ist eigentlich aus den goldenen Moshpit-Verhaltensregeln geworden? Ich meine damit konkret, dass man im Mosphit nicht mit voller Gewalt und Absicht in Mädchen reinspringt, die gerade den Blick auf die Bühne gerichtet haben und nicht am Pogen interessiert sind? Oder generell, dass man nicht mit aller Gewalt in die Ränder des Pits reinrast? Ich meine, es gibt doch einen Grund, warum sich die Leute nach außen zurückziehen!
Diese eigentlich recht auf der Hand liegenden und im Normalfall auch selbstverständlichen Regeln des menschlichen Verhaltens waren in Zwickau außer Kraft gesetzt. Einige Männer da vorne hatten offensichtlich Spaß daran, den Harten zu markieren und in wehrlose 14-jährige Mädchen reinzuspringen, als hätten sie ihre Mutter beleidigt. Unschöne Szenen, die einfach nicht sein müssen und einem den Spaß an einem Konzert durchaus verderben können. Fairerweise muss ich aber anmerken, dass gerade im vordersten Bühnenbereich etliche Leute waren, die der Situation nicht gewachsen waren, sich aber partout nicht bewegen wollten und stattdessen jeden, der auch nur den Arm zum Tanzen hob, beleidigt haben. Ihr seht: eine extrem ungünstige Mischung.
Kraftklub bei ihrer einzigen Ost-Show in Zwickau |
All diese Faktoren trugen dazu bei, dass die Stimmung im Verhältnis zu den beiden Shows in Mannheim und Saarbrücken doch recht deutlich abstank. No offense, aber meine Erfahrungen (auch bei anderen Bands) in den letzten Jahren haben gezeigt, dass das Ost-Publikum immer ein bisschen schwierig ist und es dort vermehrt zu Totalausfällen wie am Sonntag kommt. Schade eigentlich, aber das Elbufer in Dresden bietet ja die Gelegenheit zur Wiedergutmachung, bevor es hier jetzt einen Aufschrei gibt.
Die Show an sich wusste dennoch zu überzeugen, so flog Sklave erneut für Liebe zu Dritt aus dem Set. Wie dieser Song mit seinem eingängigen Schlusspart einen live immer wieder mitreißt, macht absolut Bock. Für einen Lacher sorgte darüber hinaus das Mädchen aus Italien, was das Glücksrad drehen durfte. So räumte sie auf der Bühne kurzerhand mal ab, wie ein Hungriger beim All-Inclusive Buffet – neben Umarmungen und Küsschen gabs noch Pleks von Karls und Tills Mikrofonständer on top. Sehr unterhaltsam kann ich euch sagen!
Keine Nacht für Niemand, keine Nacht für mich.
Trotz durchwachsener Stimmung verließ ich die Stadthalle mit einem nassen Shirt. Eine heitere Nacht auf der Autobahn stand mir bevor, denn ich wusste, um 06.30 ruft die Stechuhr. Im Nachhinein: ebenso Punktlandung wie bei der Show. Nur eine Minute zu spät entere ich das Büro und wisst ihr was? Ich habe mal wieder nichts davon bereut. Auch wenn die Show nicht ganz so gut war, wie die beiden zuvor, so habe ich keinesfalls Zeit oder Geld verschwendet. Durchwachsene Abende zeichnen eine Tour aus: denn wenn immer alles super und sensationell ist, ist es im Grunde nie so. Höhen und Tiefen sorgen für Spannung und in diesem Sinne freue ich mich auf Mittwoch. Der Klub macht Halt in Wetzlar und offenbar lief der Vorverkauf nicht unbedingt gut. Genau in solchen Abenden liegt Potenzial, ich freu mich!