Dieses Gefühl, das den Körper durchströmt, wenn man zum ersten Durchlauf mit einem neuen Album der Lieblingsband ansetzt. Monatelang hat man darauf hingefiebert, sich ausgemalt, wie es wohl klingen mag und sich eine Meinung über erste Singleauskopplungen gebildet. Wenn man dann endlich „Play“ drücken kann, macht sich eine ziemliche Überwältigung breit.
Die vorab ausgekoppelten Singles hängten die Messlatte schon mal hoch, war mit „Ein Song reicht“ ein Lied dabei, das schon jetzt einen gesetzten Platz in meiner ewigen Kraftklub Top Five errungen hat. Live wie auf Platte geht die Melodie ins Ohr und bleibt unweigerlich dort hängen. Gleiches gilt für „Teil dieser Band“, das kleine Liebeslied, das Felix seiner Band machte und das mit aufwändigen Strophen und dem treibenden Refrain die geborene Live-Hymne darstellt. „Wittenberg ist nicht Paris“ dagegen ist für mich der ungewöhnlichste Song auf der Platte, der dem musikalischen Bausatz nach einfach kein Kraftklub-Song ist. Ich mag den Song, ich mag Karls Rolle im Vordergrund, ich mag den Text, ich mag ihn live. Aber auf „KARGO“ ist er ein Fremdkörper, der erstmal liebgewonnen werden musste.
Generell hört man der Platte an, dass die Band sich hier und da ausprobiert hat und das in den Jahren nach KNFN ein Reifeprozess stattgefunden hat, der nun auf Kargo seine musikalischen Früchte trägt. Kraftklub trauen sich, das für sie bislang typische Schema F auch mal aufzuweichen oder gar zu brechen. Mit einem fantastisch getexteten Konzeptsong wie „Angst“ gelingt ihnen der Bruch noch gleich zum zweiten Mal und das rammsteineske Outro lässt bei jedem Hören erneut frohlocken. Hier kann niemand bestreiten, das man sich gehörig bei der choralen Theatralik der Berliner bedient hat.
Trotzdem gibt es genügend Klassiker, die das Fanherz bedienen und die, wie für Kraftklub üblich, nach vorne gehen. Textlich ist die Platte ihrem Vorgänger meilenweit überlegen, gerade die kritische Herangehensweise bei „Vierter September“ oder „Fahr mit mir“ stehen auf Kargo sinnbildlich für eine Band, die genau weiß, was sie sagen möchte.
Den Tiefpunkt des Albums markiert „Der Zeit bist du egal“, der in der ersten Strophe klingt, als hätte Kummer vergessen, den Song auf „Kiox“ zu packen. Zwar kaschieren Refrain und die rockigere zweite Strophe den Fauxpas, doch der Song bleibt ein Skip-Track und will sich partout nicht in das Gesamtgefüge einreihen.
Weitere Features gibt es mit Mia Morgan und Blond. „Kein Gott, kein Staat, nur Du“ ist der Song, der beim ersten Komplettdurchlauf der Platte sofort hängen bleibt und für einen unaufhaltsamen Ohrwurm sorgt. Da passt einfach alles. Anders verhält es sich mit „So schön“, wo ich den Mehrwert des Features nicht sehe, im Gegenteil: Blond nehmen dem Song den lässigen Drive und verwässern eine hervorragende Rock-Nummer so einem Pop-Wischwasch. Das ist schade, denn als reine Kraftklub-Darbietung hätte das eines der ganz großen Highlights des Albums werden können.
Ich bin ein Fan von Kargo und finde die Platte in fast allen Belangen um Welten stärker als ihren Vorgänger, auch wenn ich kein ausgesprochener Fan der Produktion von Flo August bin. Kargo ist mir an vielen Stellen viel zu elektronisch abgemischt und das wirkt teilweise fehl am Platz. Was bei Kummer zu einem Riesenerfolg führte, ist bei einer Rockplatte nicht zwingend nötig. Viele Spielereien mit Verzerrungen und Übersteuerungen hätten nicht sein müssen und in Summe ist mir der Mix einfach zu glatt und zu poppig – da hätte eine Portion Rotz an manchen Ecken sicher nicht geschadet. Im Gegenteil. Aber den bekomme ich live und daher kann ich das verschmerzen. Trotzdem bekommt Flo August einen Ehrenplatz in meiner Reihe „Produzenten, deren Stil ich nicht mag“ – direkt neben Vincent Sorg. Aber anderes Thema.
Mit einer Spielzeit von 36 Minuten ist das Album nun nicht gerade das, was man unter Longplayer versteht. Einerseits: Lieber ein Album ohne Schwachstellen und dafür knapper, als es mit halbgaren Songs zu verstopfen, die man im Endeffekt ohnehin künftig skippen wird. Aber der Platte hätten, gerade im Anbetracht der drei Features, noch 1-2 reine Kraftklub-Werke gut getan. Aber das ist ganz sicherlich Meckern auf hohem Niveau.
Was soll überhaupt diese pseudo-intellektuelle Plattenkritik hier? Wir wissen alle, dass die wahre Einordnung dieser Platte ausschließlich auf den Live-Bühnen dieses Landes von Statten gehen wird und die CD spätestens ab Tourshow #3 im Handschuhfach verschwindet. Dennoch möchte ich es nicht versäumen, dem Klub zu einem wunderbaren Stück Musik zu gratulieren, das schon jetzt Hits beherbergt, denen ich ein langes Live-Leben prophezeie.