Noch vor ein paar Jahren waren die Foo Fighters für mich eine stinknormale, äußerst unaufregende Rockband, deren Hits ich zwar gerne mitsang, mit deren Musik ich aber prinzipiell nicht viel am Hut hatte und zu der ich schlichtweg keinen Zugang fand. Das änderte sich schlagartig, als mein Freund bei einer fabelhaften Foo Fighters Coverband namens „Stacked Actors“ einstieg und ich plötzlich monatelang auf engstem Raume mit der Diskografie der Band vertraut gemacht wurde.
Nur wenige Schlagzeuger haben eine Band so geprägt wie Taylor Hawkins
Julian ging es zu Beginn nicht anders: Er mochte die Foo Fighters, aber abseits der Hits wurde es mit dem Wissen über die Band schnell dünn. Gemeinsam entdeckten wir Alben für uns, verliebten uns in Songs und wurden schnell zu großen Fans. Befeuert wurde das Ganze von zahlreichen wirklich hervorragenden Gigs der Actors, bei denen die großen Hits für mich schnell zur Nebensache wurden und ich mich umso mehr an Perlen und Raritäten im Set ergötzen konnte. Ich tauchte also tief ein in den Sumpf der Foo Fighters und bin darum bis heute, wo ich die „Wasting Light“ als eines meiner Top-Ten-Musikalben aller Zeiten klassifiziere, äußerst dankbar.
Als an einem vermeintlich normalen Samstagmorgen mein Handy den Tod von Taylor Hawkins vermeldete, brach es mir das Herz. Nur wenige Musiker sind so grundsympathisch gewesen, wie der Sunnyboy an den Drums und nur wenige Schlagzeuger haben es geschafft, eine Band und deren Charakter so mitzuprägen, wie Taylor das tat. Ich hatte mich so gefreut, im Juni die Foo Fighters gemeinsam mit dem Klub auf dem österreichischen Novarock zu sehen. Nun war da erstmal eine große Leere.
Eine Gästeliste wie aus einer Traumwelt
Weil ich nicht wirklich weiß, ob ich das Erlebte überhaupt irgendwie greifbar machen und in Worte kleiden kann, versuche ich zunächst das Konzept der Show zu erklären. Im Vorfeld wurde eine Art Gästeliste veröffentlicht: Musiker*innen, Künstler*innen und Freunde von Taylor Hawkins, die offenbar alle auf ihre Art einen Beitrag zur Show leisten würden.
Dieses Lineup las sich wie ein „who is who“ des Rock der letzten 50 Jahre Musikgeschichte: Da waren Bandmitglieder von Queen oder Metallica, Comedians wie Jason Sudeikis und Dave Chapelle oder Pop-Legenden wie Mark Ronson und Kesha. Dazwischen flackerten Namen wie Josh Homme, Brian Johnson, Wolfgang van Halen oder Stuart Copeland. Im Vorfeld war nicht ganz klar, wie sich aus dieser imposanten Liste eine Show zusammenfügen würde. Wir haben uns verschiedene Szenarien ausgemalt, aber was sich dann wirklich darbieten sollte, war eine ganz andere Hausnummer.
Eine Mischung aus Vorfreude und Wehmut
Als wir an diesem Nachmittag in fein-säuberlich aufgestellten Zweierreihen in das Wembley Stadion geführt werden, liegt schon ein gewisser Zauber in der Luft. Es ist diese Mischung aus Freud und Leid, die in Wembley mitschwingt und die ausnahmslos jeder beim Gang durch die geschichtsträchtigen Gänge zu Teilen scheint. Einerseits ist man aufgeregt und vorfreudig, andererseits ist der Anlass so ein verdammt trauriger. Diese Ambivalenz wird im Verlaufe des Abends noch häufiger im Mittelpunkt stehen.
Ein Countdown zum Showbeginn läuft auf den beiden großen Screens neben der Bühne. Um 16:30 soll es losgehen, langsam füllt sich auch Wembley. Was für ein Abend wird das werden? Ganz Wembley hängt in der Schwebe, geeint nur von der Liebe zu einem Schlagzeuger und der Ungewissheit über dieses Wahnsinnsprogramm, das kurz bevorsteht.
Als ich gerade einen kurzen Zwischenstopp bei den Fressbuden des Stadions einlege, entert ein DJ die Bühne, der mit den feinsten Discoklassikern ganz in Taylors Sinne die Menge einheizt. Mit Hits von ABBA und den Bee Gees gelingt ihm das ausgesprochen gut: Wembley tanzt, Wembley singt, Wembley hat gute Laune. Visuell schenke ich dem Einheizer keinerlei Beachtung, lache dafür laut, als er sich am Ende seines wirklich unterhaltsamen Wohlfühl-Sets mit „Thank you, my Name is Mark Ronson, see you later“ verabschiedet. Ah, war das etwa der erste Auftritt des Abends? Verdammt, was für ein nettes Easter Egg.
Ein erstes Mal laufen die Tränen
Der Countdown, der auf der Leinwand vor Showbeginn eingeblendet wird, läuft unermüdlich weiter. Und je näher sich die Zahl auf den Screens der Null nähert, je stiller wird es auch im Stadion. Die Spannung wird größer und das spürt man durchaus. Ein Jubeln kommt auf, als der Countdown abgelaufen ist. Dann beginnt ein Video über Taylor und im Stadion könnte man jetzt eine Stecknadel fallen hören.
Bei all der guten Laune wird jetzt dem Menschen gedacht, für den das Event eigentlich stattfindet. Ich schluchze das erste Mal an diesem Abend in ein Taschentuch und habe am ganzen Körper Gänsehaut. Als Dave Grohl und die Foos dann auf die Bühne kommen und ihrer Mitte die obligatorische Lücke für Taylor lassen, möchte ich einfach nur mit diesen fünf Männern weinen, die ihren Freund verloren haben. Auch wenn man als Fan nicht mal im Ansatz das nachfühlen kann, was ein Dave Grohl gerade empfinden muss, so leidet man dennoch mit. Man versteht. Man trauert. Was für eine Ausnahmeperson Taylor Hawkins gewesen sein muss, dafür findet Dave Grohl die richtigen Worte, zumindest, solange seine Stimme es zulässt.
In Wembley scheint an diesem Abend alles möglich
„It’s gonna be a loooong night“, sagt Dave, als er wieder zu seiner Stimme findet. Noch ehe der Applaus verhallt ist, steht Liam Gallagher auf der Bühne, Dave Grohl sitzt an den Drums und diese neu formierte Supergroup spielt „Rock’n’Roll Star“. Uff, hallo – das ist ein Opener. Nach „Live Forever“, das mir auf emotionaler Ebene weiter zusetzt, verschwindet Liam von der Bühne und eine gänzlich neue Gruppe formiert sich auf der Bühne. Fast nahtlos geht der musikalische Reigen weiter und die Weichen für den Abend scheinen gestellt: Hier gibt es heute keine Pause, keine Ruhe. Hier wird heute Musikgeschichte geschrieben für einen Musiker, der selbst Geschichte geschrieben hat.
Abgedroschene Floskel, aber in Wembley jagt ein Highlight das nächste. Ob das nun die Reunion von Them Crooked Vultures ist oder Kesha eine absolut herausragende Version von T-Rex‘ „Children of the Revolution“ darbietet, irgendwie kann man nicht so richtig fassen, was man zu sehen bekommt. Mehrfach muss ich auf dem Weg zur Toilette umkehren, weil das Stadion in frenetischen Jubel ausbricht und ich fürchte, etwas zu verpassen. Also hechte ich wieder die Treppen in den Innenraum hinab und versuche auszumachen, wer denn nun auf der Bühne steht – ein Programm oder sowas wie eine Running Order gibt es auch jetzt nicht.
Dave Grohl ist fast die kompletten sechs Stunden auf der Bühne
Wenn wir nicht gerade aus vollem Herzen Songs mitsingen und abfeiern, googeln wir uns die Finger wund, was für eine Perle wir da offenbar gerade wieder nicht kennen. Natürlich ist bei einem so breit gefächerten Programm nicht jeder Act etwas für den eigenen Geschmack, aber bei einem insgesamt sechsstündigen Mammut ist das absolut in Ordnung.
Fast jeder der Auftretenden erzählt ein paar Anekdoten von Taylor, die einen witzig, die anderen eher traurig. Es werden Bilder eingeblendet, die sich manchmal wie eine warme Umarmung und manchmal wie ein Nadelstich ins Herz anfühlen. Alles in allem ist dieses ganze Programm einfach mit unfassbar viel Liebe gemacht – das spürt man von der ersten Sekunde an, selbst wenn der achte Schlagzeugwechsel auf der Bühne nicht ganz so schnell von Statten geht, wie gewünscht.
Zur festen Konstante der Show wird – wie soll es anders sein – Dave Grohl. Wenn er spricht und neue Gäste auf die Bühne bittet, wirkt er schwach und extrem mitgenommen, seine Stimme wackelt. Spielt er jedoch ein Instrument, dann ist er losgelöst und es macht den Eindruck, als sei das Musizieren das einzige, was seinen Schmerz lindern kann. Ein Glück, dass Dave an diesem Tag von Bass über Gitarre bis hin zum Schlagzeug und den Vocals nahezu überall in Erscheinung tritt.
Lifegoal: Queen in Wembley
Immer mehr Supergroups formieren sich an diesem Abend, nur um sich nach wenigen Songs wieder zu trennen. Die Liste der bekannten Gäste wird kürzer und langsam stehen da nur noch die ganz großen Namen. Als Lars Ulrich (von Metallica, für alle nicht Metalfans) auf die Bühne kommt und gemeinsam mit Brian Johnson (AC/DC) „Back in Black“ spielt, ist die Stimmung auf dem bisherigen Höhepunkt des Abends. Ich war nie ein sonderlich großer Fan von AC/DC, vor allem wegen der nervigen Gesangsstimme – aber verdammt, macht das eine Stimmung.
Im Anschluss an das Doppel aus AC/DC und Metallica weiß nun ein jeder, was kommt: Queen. Die markanten Drums von „We will rock you“ setzen ein, passend dazu leuchtet das ganze Wembley Stadium im Rhythmus auf. Da muss man sich dann schon kneifen, ob man wohl gerade Mitglieder von Queen in fucking Wembley zu sehen bekommt? Wahnsinn, was hier los ist. Stets mit auf der Bühne sind die Foo Fighters und vor allem Dave Grohl, der einfach nicht müde zu werden scheint.
Nach einer hervorragenden Performance von „Somebody to love“ von Gastsänger Sam Ryder (der absurderweise am Nachmittag am Superbloom in München hätte spielen sollen, dort aber unter fadenscheinigen Gründen absagte) wird es plötzlich dunkel auf der Bühne. Ganz allein sitzt Brian May nun auf einem Barhocker inmitten des Stegs. Schlagartig wird einem bei dieser Ruhe wieder ins Gedächtnis gerufen, das der Anlass für dieses Konzert eigentlich kein freudiger ist.
Ein großes Porträt von Taylor wird auf den Leinwänden eingeblendet, während Brian May anfängt darüber zu erzählen, dass er auch einst einen Freund hatte, der zu früh sterben musste. Mein Gedanke dabei: Dein Ernst digga, wir gehen hier alle schon den ganzen Tag auf emotionalem Zahnfleisch und du spielst hier noch die Freddie Mercury Karte? Das kann doch kein Mensch verkraften!
Das erste Foo Fighters Konzert ohne Taylor Hawkins
Ganz Wembley singt in Folge des rührenden Monologs mit Brian May „Love of my Life“ und dann verlassen er und Roger Taylor die Bühne. Es wird still. Jeder weiß, das nun keine Gäste mehr übrig sind. Jetzt passiert der Moment, vor dem sich jeder Foo Fighters-Fan irgendwie gegruselt hat: Das erste Konzert ohne Taylor.
Ich glaube, jeder kennt mittlerweile die Videos vom ergreifenden ersten Song, bei dem Dave, der den Anfangspart alleine schultert, mehrfach die Stimme wegbricht. Er weint. Ganz Wembley weint mit. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, das in diesem Moment kein Auge trocken geblieben ist. Und ich schäme mich nicht zu sagen, das ich geheult habe wie ein kleines Kind.
Nachdem dieser heftige Moment überwunden ist, geht es mit „All my life“, „The Pretender“ und „Monkey Wrench“ weiter. Keine Chance mehr jetzt für Tränen, jetzt gibts einfach nur auf die Fresse, vor allem von Travis Barker an den Drums. Wieder einmal vergisst man den traurigen Anlass und genießt den Moment, der sich anfühlt wie das Wegwerfen von ziemlich viel Ballast. Plötzlich taucht auch noch Paul McCartney auf und performt zwei Songs mit den Foo Fighters. Kneift mich nochmal jemand?
Den nächsten Herzbrecher-Moment gibt es, als der Sohn von Taylor Platz an den Drums nimmt und den Song „My Hero“ spielt. Uff, auch das setzt zu. Genauso wie Roger Taylors Sohn Rufus, der nicht nur das Patenkind von Taylor war, sondern ihm beim Schlagzeugspielen auch noch verdammt ähnlich sieht. Mit einer akustischen Version von „Everlong“ beschließt Dave Grohl das Set. Erneut hat Wembley Gänsehaut. Als die Foos von der Bühne gehen, bin ich mir nicht wirklich sicher, ob ich diese Band jemals wieder live sehen werde.
Als wir aus dem Stadion gehen, können und wollen wir uns nicht wirklich über das Erlebte unterhalten. Überhaupt, wir könnten noch gar nicht darüber sprechen, weil wir noch meilenweit davon entfernt sind, zu realisieren, bei was für einem geschichtsträchtigen Konzert wir heute waren.
Bis ich über das Konzert sprechen und schreiben kann, vergeht fast eine Woche. Ich weiß bis heute nicht, ob ich die Musik der Foo Fighters je wieder auf die gleiche Art hören kann, wie vor diesem Abend. Ich weiß aber ganz sicher, das ich dankbar bin, einem Tribute für diesen wunderbaren Schlagzeuger dabei gewesen zu sein. Rest in Punk, Taylor Hawkins!