In der Kraftklub-Bubble gehört es eigentlich zum guten Ton, Casper zu feiern. Die Schnittmengen sind groß, die Künstler befreundet und die Fans sind sich einig: Ich war jahrelang der Fremdkörper, der nichts mit seiner Musik anfangen konnte und bei den zahlreichen Gastauftritten bei Liam augenrollend schmollte. Das Fandom war mir zu kindisch, die Musik zu pseudodeep und der Hype auf jeden Fall zu groß.
Angefangen hat mein Sinneswandel eigentlich 2019 bei Rock am Ring, als Casper einen recht prominenten Slot auf der Centerstage innehatte und das Internet sich darin überbot, wer sich denn nun am meisten über diese Besetzung echauffiert. Der Klassiker „aBeR eS heIßT doCh ROCk am RiNg“ durfte natürlich nicht fehlen – schon zahlreiche Acts wurden mit diesem Kommentar im Vorfeld als fehl am Platz gecancelt. Dass Rock am Ring schon immer ein Mehrsparten-Festival war, bei dem die bunte Vielfalt der Genres zum Tragen kommt, hat der Mob im Netz natürlich nicht auf dem Schirm. So solidarisierte ich mich damals mit Casper, auch wenn ich alles andere als Fan war.
Es verwunderte mich selbst, aber ausgerechnet an diesem Abend hat er mich dann komplett abgeholt. Mit der Diskographie war ich unfreiwillig ja bestens vertraut, aber es war tatsächlich das erste Mal, das ich die Songs auch fühlte und verstand. Das sollte sich während der Pandemie intensivieren und hey, hier sind wir: Ich war freiwillig auf einer Casper-Show. Sie war fabelhaft, so viel vorab.
Die Feuerwache wird nicht zu meiner neuen Lieblingslocation
In der Alten Feuerwache war ich zuletzt vor über 10 Jahren: Damals, als K.I.Z noch gute Musik gemacht haben. Damals fand ich die Location gut. Heute, mit ein paar Konzerten mehr auf dem Buckel, muss ich meine Meinung allerdings revidieren, denn die Säulen an der rechten Seite sind ähnlich nervig, wie die im Kölner Palladium. Das tat aber meiner guten Stimmung keinen Abbruch, denn nach zwei Jahren gefangen im Home Office war es ein fantastisches Gefühl, sich für ein Konzert in einen Club zu begeben. Erhaben und ein kleines bisschen zu aufgeregt stand ich also in der Feuerwache und harrte der Dinge, die da kommen sollten.
Der Voract, Edwin Rosen, eine Ein-Mann-Vereinigung aus Drangsal, Depeche Mode und vermutlich allen anderen Synthie-Bands der 80er, konnte mich schon mal nicht überzeugen. Musikalisch war mir das zu vorhersehbar und vor allem zu ruhig, aber ich schätze, ich bin auch das Gegenteil von dem, was wohl die Zielgruppe sein soll. Edwin Rosen und die wirklich liebevoll zusammengestellte Prä-Gig-Setlist schafften es jedenfalls, die Menge vor der Casper-Show ordentlich auf Touren zu bringen. Früher hätte ich jetzt einen gemeinen Spruch gebracht, dass die Cassler-Fans sowieso jeden Furz feiern, den ihr Rapgott so lässt, aber da ich ja nun durchaus auch Anhängerin der Musik bin, verkneife ich mir diese kleine Spitze und verweise erneut auf die durchweg gute Stimmung im Saal.
Ein holpriger Start
Die sollte noch besser werden, als Casper selbst die Bühne enterte und erstmal den schlechtesten Opener aller Zeiten präsentierte: Alles war schön und nichts tat weh. Sorry. Dieser Song besitzt nicht im Ansatz die Qualität, eine gierige Menge zum Ausrasten zu bewegen. Nein, dieser Song hat nichtmal einen richtigen Refrain. Nennt mich Kunstbanausin, aber AWSUNTW ist für mich nicht nur der schlechteste Song des Albums, sondern auch eine absolut unglückliche Wahl an dieser Stelle im Set. Aber das wars jetzt eigentlich auch schon mit Kritik.
Denn der Rest der Show war eine unglaublich runde Sache: Wilde, energiegeladene Songs gaben sich mit ruhigeren die Klinke in die Hand und die Show war absolut harmonisch. Textsichere Crowd, hervorragender Sound und ein gelungener Spannungsbogen, der mit Jambalaya einen perfekten Closer fand. Es fällt durchaus auf, dass die älteren Songs viel mehr angenommen werden, als die neueren – aber in Anbetracht der Tatsache, dass sich das neue Album rein musikalisch durchaus sehr von anderen Teilen der Diskographie abhebt, ist das eigentlich ein natürlicher Prozess. Ein Moshpit zu „Fabian“ wäre absurd, aber einen zu „Mittelfinger hoch“ hätte ich gerne gehabt: schade, dass so ein Banger es auf einer Clubtour nicht ins Set schafft. Aber irgendwie hätte das wohl auch nur schwer in das kitschig-blumige Gesamtbild gepasst.
Im Club: gerne wieder. In der Halle? Unsicher.
Alles in allem war ich mit meinem ersten absichtlichen Casper-Konzert mehr als nur zufrieden und meine Vorurteile gegenüber den Casper-Fans (alles schreiende, kleine Mädchen mit Zahnspange) sollten sich nicht bewahrheiten. Im Gegenteil: Ich habe sogar den ersten postpandemischen Crowdsurf bei Casper gemacht – ein historischer Moment, an den ich mich definitiv noch den Rest meines Lebens erinnern werde. Es war zwar während des Brummer-Parts in „Ganz schön okay“, aber hey, der Wille zählt!
Zum Dauergast werde ich wohl nicht werden, aber in einem kleinen schwitzigen Laden im Moshpit machen Songs wie „Letzte Gang der Stadt“ schon ziemlich viel Spaß. Ich bin gespannt, wie mir die Show am Ring zusagen wird: aber ich bin mir fast schon sicher, dass sie nicht an diese herankommen wird.