Die Festivalsaison geht los – wäre da nur nicht die Kleiderfrage…
Anfang Juni, die Festivalsaison ist angerollt. Ein herrliches Gefühl, die Planungen hinter sich zu lassen und sich endlich wieder ins Getümmel zu stürzen. Aber bevor es dann endlich losgeht, steht das Packen im Vordergrund: was nehme ich eigentlich mit? Und was ziehe ich an?
#festivallook? Augenringe statt Mascara!
Wer braucht auf Festivals eine wasserfeste, angeblich „festivaltaugliche“ Wimperntusche, wenn die Augenringe darunter tiefer sind als Loch Lomond? Warum sollte ich überhaupt Make-Up tragen, auf einer Veranstaltung, bei der ich tagelang in einem Zelt hause und den Alltag mit seinen Annehmlichkeiten ohnehin hinter mir lasse? Wer braucht „fancy“ bestickte Jeansjacken, die am Ende weder den wasserfallartigen Regen beim Konzert abhalten, noch vor dem kalten Wind schützen? Warum sollte ich Bandshirts von Musikern tragen, deren Musik mir nichts gibt oder die ich gar überhaupt nicht kenne, nur weil das Design gerade den „puren Rock“ ausstrahlt?
Ich sehe schlicht denn Sinn nicht. Alle von mir angesprochenen Punkte, die ich noch endlos weiter so ausführen könnte, sind aktuelle Ratsamkeiten von einschlägigen Modeblogs, die suggerieren, den Plan schlechthin für die Festivalsaison überhaupt parat zu haben. Mir stellt sich dabei wirklich die Frage, ob den Damen bewusst ist, was auf einem Festival im Vordergrund stehen sollte:
Das ist in meinen Augen nämlich die Liebe zur Musik, eine Gemeinschaft mit Leuten, die die gleichen Interessen teilen und generell einfach der Spaß am Leben. Worin genau der Spaßfaktor liegt, wenn ich mich morgens aus dem Zelt schleichen muss, um meine Beach Waves zu stylen, bevor der Rest meines Camps aufwacht, bleibt mir schleierhaft. Das „sich gut fühlen“ steht für mich über dem gut aussehen – und wer sich nur gut fühlen kann, wenn er sich gestyled hat, hat sowieso ein ganz anderes Problem.
Versteht mich nicht falsch, ich ziehe auch gerne hübsche Klamotten an, benutze ein Glätteisen oder lege ein Makeup auf. Aber schlichtweg an Orten, an denen das angemessen ist und ich nicht total aus dem Rahmen falle. Ich kann nicht leugnen, dass ich überstylte Püppchen auf Zeltplatz und Gelände gerne mal belächle, wenn sie mit ihren teuren Lederboots in eine Pfütze stapfen. Noch schlimmer wird meine Antipathie nur, wenn ich sehe, wie man nach dem Festival mit inszenierten Fotos und dem richtigen Product Placement im Netz versucht, Geld mit dem total deplatzierten Outfit zu machen. Kaputte Welt und ein noch kaputterer Markt, der sowas wohl benötigt.
Glücklicherweise haben wir auf deutschen Festivals noch keine Coachella-artigen Verhältnisse, die ein ausgiebiges Styling oder eine bedachte Outfitwahl obligatorisch machen. Anhänger dieses Trends befinden sich noch immer in der Unterzahl – was für meinen Geschmack auch gerne so bleiben darf. Eigentlich finde ich ja, dass jeder nach seiner Räson das tun sollte, wozu er sich berufen fühlt – trotzdem ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich mich über Festivalmode-Posts in meinen Social Media Feeds außerordentlich echauffiere. Das Gehabe rund um die richtige Mode beim Festivalbesuch erscheint mir einfach gänzlich Fehl am Platz.
Wie kleiden sich nicht-Modeblogger auf Festivals?
Bei mir funktioniert Festivalpacken immer nach dem Chaosprinzip, in der Regel wenige Stunden vor Abfahrt. Ich greife wahllos einen Stapel Bandshirts aus dem Kleiderschrank und ergänze diese Auswahl mit Kleidungsstücken, die der aktuellen Wettervorhersage entsprechen. Da ich grundsätzlich aber ein misstrauischer Genosse bin, packe ich trotzdem für jede Wetterlage, von Schneegestöber bis Wüstendürre, ein paar Optionen mit ein. Diesen Vorgang wiederhole ich so lange, bis mein Backpacker kurz vor dem Platzen steht. Ich könnte natürlich auch dem Trend folgen und mit einem Trolley anreisen, aber ich ziehe es dann doch vor, die Damen auszulachen, die mit ihren Reisekoffern jedes Schlagloch auf dem Campground mitnehmen.
Aber spielen wir das Mode-Influencer Game doch mal ein bisschen durch, aber auf die ehrliche Art und Weise. Wie ginge das besser, als an einem Bild vom Festivalstart am Ring? Grundvoraussetzung: Natürlich ein total gestelltes Foto, auf dem jedes noch so kleine Detail des mühsam zusammengestellten Outfits zur Geltung kommt. Ich mache meine eigene, schonungslos ehrliche Variante aus der Sache – natürlich nicht ohne das nötige Augenzwinkern.
#ootd Mein Rock-Chic Look am Nürburgring – Black is beautiful!
Oberteil: Ein Rammstein Retro-Shirt aus dem Jahre 2009, selbst auf der Tour gekauft und die letzten Jahre so oft getragen, dass der Print schon abbröckelt. Damit ich meine Sonnenbrand-geschundenen Schultern nach einem harten Tag im Camp nicht an unangenehmem Stoff aufreiben muss, habe ich den Ausschnitt kurzerhand mit einer Schere ein bisschen angepasst. Meine Googlerecherche sagt mir, dass sich dieser Schnitt Off-Shoulder nennt – ich frage mich, ob ich wohl der nächste Gianni Versace werde.
Bauchtasche: Sind Bauchtaschen nicht wieder gerade im kommen? Bin ich gar ein Fashion Victim? Wenn ich ehrlich bin, finde ich die Dinger schrecklich hässlich, aber leider hat noch niemand eine praktischere Lösung für Konzerte und Festivals erfunden. Das nötigste passt gerade so hinein und selbst beim Crowdsurfen stören die Dinger nicht. Für meinen Look also das Key Piece, wie die Fachfrauen sagen. Besonders cool natürlich mit dem Branding der fünf Dullis aus KMS. Kostenpunkt? 19,99 bei Krasserstoff und damit fast schon das teuerste Stück in meinem Look!
Schuhe: Vans Authentic in der Ledervariante. Diese Schuhe trage ich seit zig Jahren und das sieht man ihnen mittlerweile auch an. Erfreulich: Unter der tiefen Kruste aus Schlamm haben sie sich kurzerhand selbst gegen Feuchtigkeit imprägniert.
Sicherheitshinweis: Am Abend, wenn man sich ins Zelt zurückzieht, ist ein entsprechender Alkoholpegel ratsam, um die aufsteigenden Dämpfe der fünf Jahre alten Treter nicht wahrzunehmen.
Kutte: Genau, das sind diese Metal-Jeansjacken, die man sich mit Aufnähern seiner Lieblingsbands dekoriert. Was es mittlerweile an der Stange fertig zu kaufen gibt, ist für den Musikliebhaber liebevolle Kleinstarbeit. Was bei den Modebloggern ein Schaudern hervorrufen wird: eine echte Kutte darf man nicht waschen. Der Schweiß vom letztjährigen Wacken dient dieses Jahr also noch als mein Parfum. Das ist Heavy Metal, Freunde.
Sonnenbrille: Original „Ray Beri“, stilecht erstanden beim letzten Mallorca-Urlaub an der Playa. Durch geschicktes Verhandeln konnte ich den Preis auf 2.50 drücken und mich gleich mit vier Brillen eindecken. Die Sonnenbrille dient bei jeder Wetterlage zum Kaschieren der bereits angesprochenen Augenringe und dem unter Umständen vorhandenen Alkoholpegel.
Bandana: Dient dazu, nach drei ungeduschten Tagen im Festivalwahnsinn die mittlerweile leicht fettigen Strähnen noch an Ort und Stelle zu halten und den Anschein einer „Frisur“ zu erwecken. Fängt zusätzlich Schweiß auf der Stirn auf und verhindert Sonnenbrand. Netter Nebeneffekt: man spricht mich häufig mit Axl Rose an.
Fazit: Das Outfit gewinnt zwar keinen Schönheitspreis, ist aber praktisch, dem Anlass angemessen und ich kann stolz behaupten: das bin „ich“. Nicht irgendein vordiktierter Trend der Branche, nicht irgendeine Modeerscheinung, die mich beim Betrachten der Fotos in 20 Jahren Erschaudern lässt. Die ungeschönte Wahrheit. Also genau so, wie es sein sollte!
Was ist nun also der richtige Look für ein Festival? Zieht an, worin ihr euch wohlfühlt. Zieht an, was praktisch ist und euch den Tag über nicht stört, wenn ihr euch in den Campingstuhl flackt oder euch eine Band spontan zu einem Crowdsurf hinreißt. Verschwendet nicht die kostbare Zeit auf Festivals damit, eine Steckdose für euer Glätteisen zu finden. Keiner wird euch im strömenden Regen für den Plastikponcho, den ihr am Werbestand nebenan geschenkt bekommt, auslachen.
Seid ihr selbst, seid fröhlich und dann kommt das mit der Ausstrahlung von ganz alleine – dazu braucht kein Mensch eine fancy Fransenlederjacke, nur weil irgendeiner auf dem Coachella mal gesagt hat, dass das 2018 hip wäre.
Oh ja, ich hab die Leute noch nie verstanden, die sich auf Festivals oder generell beim campen morgens hübsch machen & schminken – bin da viel zu faul zu ��
Mein Highlight war:
:Was soll ich heute anziehen?
Ich:wird recht kalt heute, schon was wärmeres würd ich sagen.
:Nein, ich meine was passt farblich zum Hintergrund, für die Fotos natürlich? ��