Tourstart, die erste von achtzehn Shows in vierundzwanzig Tagen. Kann mich bitte jemand kneifen?
Der Kargo-Koffer ist gepackt und voller Erwartungen
Als wir am Mittwochabend unsere knapp 800 Kilometer lange Reise in den hohen Norden antreten, ist die Anspannung im Auto kaum auszuhalten. Geplagt von innerer Unruhe, Aufregung und einer ungeheuren Portion Vorfreude können wir einfach nicht fassen, dass wir nun tatsächlich zu einer Hallentour aufbrechen. Trotz des Sommers, der uns noch immer vorkommt als hätte er ein ganzes Jahr angedauert, war eine richtige Tour geistig in weiter Ferne und völlig surreal. Aufgedreht wie Duracell-Häschen schaffen wir sogar die zähe Nachtfahrt nach Schleswig-Holstein in einem Rutsch und als wir vor der Halle stehen, können wir nicht glauben, dass dieses langersehnte Abenteuer nun tatsächlich begonnen hat.
Als ich das letzte Mal bei Kraftklub in Kiel war, hieß die Wunderino Arena noch „Sparkassen Arena“ und der Norden zeigte sich von seiner schlimmsten Seite. Bei eisigem Sturm gaben wir damals bereits nach wenigen Minuten Anstehens auf. Dementsprechend groß war die Angst vor einer ähnlichen Wetterlage: Zum Tourstart war uns besonders wichtig, die neue Show vom Stammplatz in der ersten Reihe genießen zu können. Doch der Wettergott war uns in Kiel zum Tourstart hold und der Tag vor der Halle gestaltet sich angenehm. Die Gesprächsthemen des Tages konstatieren sich recht monothematisch: Wie wird die neue Show wohl aussehen? Viele Fragezeichen rund um die Tour, die noch über unseren Köpfen kreisen und deren Erörterung uns gut beschäftigt.
Krafklub-Shows: Kennste eine, kennste alle?
Dass Krafktlub eine formidable Live-Band sind, darauf können sich die meisten Connaisseure der deutschsprachigen Konzertblase einigen. Doch in den letzten Jahren wurden die Stimmen lauter, dass die Innovation bei den Kraftklub-Shows durchaus zu Wünschen übrig lässt: Die immer gleichen Show-Elemente wie Glücksrad, B-Stage und Wettcrowdsurf schienen selbst Leute zu nerven, die nicht ganz so häufig bei der Band rumhängen, wie wir das für gewöhnlich tun.
Moniert wurde ebenfalls, dass die puristische Show, die sich optisch meist auf unaufgeregtes Licht und eine Kombination aus wechselnden Kabukis mit dem Oldschool-Leucht-K beschränkt, dem Status der Band nicht mehr ganz gerecht wird. Einerseits bin ich geneigt zu sagen, dass echter Rock’n’Roll wenig Firlefanz braucht und sich selbst trägt. Dass eine vernünftige Liveband keinen Schnickschnack braucht, um ein Publikum zu vereinnahmen. Andererseits kosten die Tickets mittlerweile über 50 Euro und Kraftklub werden immer häufiger als Headliner gebucht: Da darf man durchaus ein bisschen was erwarten. Trotzdem gehen wir vor der Halle nicht davon aus, dass wir groß überrascht werden. Ein fataler Irrglaube.
Ein neues Bühnen-Setup lässt Kinnladen herunterklappen
Dass am ersten Abend einer Tour nicht alles rundläuft, erleben wir schon beim Einlass, der ganze 30 Minuten auf sich warten lässt, weil der Aufbau in der Halle noch nicht ganz abgeschlossen ist. Diesen Sand im Getriebe zu Beginn einer neuen Rutsche mag ich sehr, vor allem, wenn man im Laufe der Shows beobachten kann, wie die Rädchen plötzlich besser ineinander greifen und plötzlich eine runde Show entsteht.
Schließlich in der Halle angekommen betrachten wir ein interessantes Bühnenkonstrukt: Quadratischer Grundaufbau, verhältnismäßig klein und vor allem angenehm niedrig und mit kleinem Graben. Seitlich eingerahmt von einem weißen Kabuki, der die Bühne damit zu einem Würfel formt. Darüber befindet sich gleichermaßen quadratisch ein riesiges Licht-Setup, das schon jetzt viel verspricht. Ein Teil der ersten Reihe ragte seitlich um diesen Würfel herum, was eine Art rundum Erlebnis zu bieten scheint. Langsam zweifeln wir an unserer Annahme, das man auch auf dieser Tour beim Altbewährten bleiben wird. Es bleibt die Frage nach dem Opener, die von der Band mit einer großen Überraschung beantwortet wird.
Der Name „Kargo-Tour“ ist Programm
Hätten wir Buchmacher-Quoten für unsere Opener-Wetten gesetzt, dann hätte Inga gestern großen Reibach gemacht. Sie war felsenfest davon überzeugt, dass „In meinem Kopf“ der Opener werden wird, wofür sie am Nachmittag noch zahlreiche Lacher kassierte. Die Weichen für die ein oder andere weitere Überraschung sind damit gestellt.
Waren wir im Sommer noch mittelschwer beleidigt, dass außer der Singles keine Kargo-Songs den Weg ins Programm fanden, so sollten wir in Kiel voll auf unsere Kosten kommen und zwar von der ersten Sekunde an.
Das war ziemlich überwältigend, denn man wusste zunächst nicht, auf was man sich zuerst konzentrieren sollte: Da war einerseits der gigantische Würfel, in dem die Band futuristisch und mit einem mega modernen Konzept aufspielte und den man eigentlich gerne ausführlich inspiziert hätte. Andererseits war da aber auch dieser neue Song, auf den man sich einlassen wollte und außerdem musste man noch die Eindrücke und Gefühle bändigen, die zum Start einer Tour aus einem heraussprudeln wie aus einem Brunnen.
Diese neue Show setzt ein Ausrufezeichen
Eigentlich möchte ich nach diesem Abend weder Setlist noch Show großartig spoilern. Erstens will ich mir hier natürlich nicht den Content für die nächsten siebzehn Berichte vorwegnehmen, andererseits möchte ich den ganzen Leuten, die ihren Konzertbesuch noch vor sich haben, nIcht den ganzen Spaß vorweg nehmen. Ich versuche mich daher allgemein zu fassen und beginne dieses Fazit mit einem enthusiastischen: Wow!
Diese Kargotour hält ein völlig neues Showkonzept bereit, das mit der extrem variablen und abwechslungsreichen Bühne mit einem ansprechenden und neuartigen Grundgerüst ausgestattet ist. Wie sich die Bühne im Verlauf der rund 2:10h andauernden Show immer wieder neu formiert und verändert, ist extrem kurzweilig und macht große Lust darauf, die Details dahinter in den kommenden Wochen zu entdecken.
Natürlich ist der Abend in Kiel ein ganz klassischer Tourstart, bei dem noch viele Patzer passieren und die Band mehr als nur einmal über sich selbst in schallendes Gelächter ausbricht. Da stürzt ein Till wie eine Bahnschranke über die Bühne, Bandmitglieder rasen voller Überschwung ineinander, bei zahlreichen Songs wird daneben gegriffen und Textfehler passieren. Showelemente wollen noch nicht so funktionieren, wie sie eigentlich sollen und auch die Interaktionen mit dem Publikum sind nicht mehr ganz so eingeschliffen. Sagen wir es so: Hätte gestern noch ein Crowdsurfer den Handschlag mit Felix verweigert, er wäre vermutlich in Tränen ausgebrochen.
Die Setlist ist eine bunte Wundertüte
Gerade was die Setlist angeht möchte ich mich heute noch kurz fassen, da sie tatsächlich ein paar Überraschungen bereithält, die positiv wie negativ ausfallen. Mit dem Glücksrad hat man diesbezüglich noch eines der alten, ausgelutschten Showelemente beibehalten – was bei uns zunächst Jubel hervorrief, da 500K keinen Platz mehr darauf fand.
Felsenfest davon überzeugt dass wir diesen Song endlich los sind, wurden wir mehr als nur eiskalt überrascht, als er uns doch noch um die Ohren gehauen wurde. Man kann eben nicht alles haben. Apropos, „Nicht alles haben“ gilt auch für das Album Keine Nacht für Niemand, dessen Existenz die Band offenbar weiterhin aktiv leugnen will. Darüber wird noch zu sprechen sein.
„Ein Song reicht“ löst Liam ab und wird zum neuen Closer, was ich nicht nur mit Skepsis betrachte, sondern auch für einen falschen sowie unklugen Schachzug halte. Unsicher, ob ich mich einfach die letzten 120 Shows daran gewöhnt habe, dass Liam immer das Ende ist oder ob die Angelegenheit wirklich nicht so rund ist, aber in dieser Sache sollte meiner Meinung nach das Prinzip „Never change a winning team“ greifen. Nach Liam ist Feierabend, da will ich selbst keinen Überhit wie Mike Skinner mehr. Da bin ich konservativer Traditionalist, punkt.
Die Stimmung in der Wunderino Arena war durchweg gut und durch den Innenraum ging so manche Druckwelle, die uns gegen die Barriers schleuderte. Wenn man im Verlauf einer Show förmlich spürt, wie die Rippen ihre Farbe zu lila verändern, dann wäre ein Wellenbrecher definitiv die bessere Entscheidung für die Halle gewesen.
Zusammenfassend: Für uns war der Auftakt ein wahres Freudenfest und ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt bei einer Kraftklub-Show so viel gelacht habe. Genau diese Shows sind es, die im Gedächtnis und vor allem im Herz bleiben. Vor allem freue ich mich aber, dass jetzt erstmal sehr viel Druck raus ist und die Band sich die nächsten Shows in ihrer neuen, wirklich gelungenen Show finden kann. Ich bin gespannt, zu was für Höchstformen sich diese Band noch hochspielen kann, wenn erstmal ein bisschen Routine eingekehrt ist. Und es ist mir bereits jetzt ein inneres Blumenpflücken, in Rostock weitere Details zu entdecken, die in der Gesamtüberforderung des ersten Abends untergegangen sind.