Berlin, irgendwo zwischen Mitten in der Nacht und sehr früh am Morgen. Nach einem Offday, der irgendwie komplett an uns vorbeizog, sitzen wir in meinem Auto vor der Max-Schmeling-Halle und starren apathisch aus dem Fenster. Es regnet seit Stunden, das krönende Finale des grauen Offdays quasi. Es ist zwar nicht übermäßig kalt, aber wir ekeln uns seit geraumer Zeit davor, das Auto zu verlassen. Irgendwann finden wir doch noch Kräfte, die uns an die Schleusen treiben. Das wird ein langer Tag.
Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein
Was sich am Morgen noch so grauenvoll angefühlt hat, entwickelte sich allerdings zu einem recht entspannten Tag an der Halle, bei dem zum Glück auch das Wetter irgendwann einen angenehmen Weg einschlug. Irgendwie rechneten wir schon früh mit großem Andrang an der Halle, was sich aber als kompletter Irrglaube herausstellen sollte. Zur Feier dieser entspannten Tatsache gönnten wir uns zur Ausnahme mal nichts vom Lieferdienst, sondern gingen ganz dekadent essen. Auch das muss mal sein!
Der Tag wollte trotzdem irgendwie nicht so richtig rumgehen. Es lag auch ein Hauch Einlasspanik in der Luft, weil wir die Halle nicht kannten und sie von außen durchaus monströs erscheint. Zwar haben wir uns vorher mit genügend Infos eingedeckt, aber Treppen und ausbremsende Ordner sind nun nicht unbedingt das, was man gerne hören möchte. Sehr oft habe ich an diesem Mittag hinterfragt, was eigentlich geschehen ist, dass ich hier sitze. Normalerweise lasse ich nämlich Berlin Shows aus, bei jeder Band, auf jeder Tour. Einfach weil ich mit der Stadt nicht warm werde und mich dort überhaupt nicht wohlfühle. Besonders nach den vielen Proben für den Festivalsommer in Berlin war meine Motivation für die Show im Spätjahr eigentlich sehr gering, aber man möchte ja auch nichts verpassen und nur wegen persönlicher Befindlichkeiten vielleicht eine gute Show aussetzen.
Kurz vor Einlass brachten wir dann unsere Schlafsäcke und Stühle ans Auto, was in Pole Position vor der Arena parkte. Noch immer war nicht das ganz große Gedränge vor Ort, also schlenderten wir gemütlich mit dem Gepäck durch die Leute. Vor meinem Auto stand eine kleine Straßenmusiker Gruppe, die alle ziemlich mitgenommen aussahen. Genauso mies gekleidet, wie ich das mit meiner chronischen Abneigung gegenüber der Stadt von Straßenmusikern dort erwarten würde. Kaum jemand schenkte ihnen Beachtung, ich war tatsächlich sogar ein bisschen angenervt, dass die mir den direkten Weg zur Karre versperrten. Stellt euch nun bitte mein Augenrollen vor, als ich eine Stunde später erfuhr, dass es die Kraftklubs in Verkleidung waren.
Irgendeine Show muss ja die schlechteste sein
Irgendwie sollte diese Abneigung gegen Berlin über dem Abend schweben, wie ein Damoklesschwert. Denn direkt nach dem Einlass nahm das Chaos seinen Lauf. Auf vieles möchte ich hier nun auch gar nicht eingehen, habe auch ganz bewusst ein paar Tage gewartet, überhaupt etwas über den Abend zu schreiben. Wer mich kennt weiß, dass ich sehr impulsiv bin und vermutlich wäre ich mehr als nur einer Person mit meinen Ausformulierungen hier auf den Schlips getreten.
Ich versuche es euch so zu erklären:
Was ich im Hamburg-Artikel noch als lokales Phänomen abtat, war in Berlin dann am Gipfel angekommen. Es war einfach nur grausam, wie viele junge Mädchen (teilweise wirklich noch Kinder!) umgefallen sind und sich heulend aus der Menge bergen lassen mussten. Man kann dankbar sein, dass die Security an diesem Abend einen tollen Job gemacht hat (was man anfangs nicht hätte meinen können – aber das steht auf einem anderen Blatt Papier) und Schlimmeres verhindern konnte. So langsam muss ich wirklich sagen, dass mich die Sache anfrisst. Es wäre schön, wenn den Mädels irgendwie bewusster wäre, dass so ein Konzert im vorderen Hallendrittel kein Ponyausritt ist. Ich finde es einfach hart anstrengend für alle Beteiligten, wenn während einer Show 100 Mädchen geborgen werden müssen, die zum ersten Mal mit einem Moshpit konfrontiert werden und mit der Sachlage durchaus überfordert sind. Eigentlich weiß ich auch gerade garnicht so genau, worauf ich mit diesen Aussagen rauswill, weil ich weiß, dass man daran nichts ändern kann, aber ich meinem Ärger trotzdem irgendwo Luft machen möchte. Ich finde es toll, dass so viele junge Leute und gerade Mädchen sich mit der Band und so einer Art von Musik identifizieren können (es gäbe deutlich schlechtere Alternativen) und auch die Konzerte besuchen, allerdings wünsche ich mir dann ein bisschen mehr Sensibilität bei der Platzwahl oder generell der Erwartungshaltung an die Show. Es wäre schön, wenn man sich darüber im Klaren ist, was es bedeutet, in der zweiten Reihe Mitte zu stehen, wenn der Vorhang fällt und man am besten noch nen riesigen Beutel umgeschnallt hat.
Ansonsten kommt es zu so einem Gedränge wie in Berlin, das unangenehm ist und vielen anderen Leuten den Spaß verderben kann. Wohlgemerkt: nach insgesamt 9 Mal erste Reihe auf der Tour war Berlin mit Abstand die heftigste Show vom Gedrücke her. Auch hier gab es wieder einen offenen Wellenbrecher, der die chaotischen Verhältnisse natürlich begünstigt. Gekrönt wurde das alles von eckigen Wellenbrechern, die sich herrlich zwischen die Rippen bohren und im wahrsten Sinne des Wortes bleibenden Eindruck hinterlassen.
Wie dem auch sei:
Ich hatte in Berlin keinen Spaß, weil ich mehr mit mir selbst und anderen Leuten beschäftigt war, als mit dem Konzert. Das lag nur bedingt an der Band, wobei ich durchaus behaupten würde, dass sie auf der Tour bessere Abende hatten, rein von der Spielfreude und Laune her. Weiter beeinflusst hat meinen eher negativen Eindruck die Tatsache, dass ich Erwartungen hatte. Berlin, das große, tolle Berlin – das muss ja eine tolle Show werden. Vielleicht habe ich mir da im Vorfeld zu viel ausgemalt, vielleicht war es einfach auch nur die Verkettung von ungünstigen Faktoren, die mein Konzerterlebnis an diesem Abend getrübt haben. Vielleicht hätte ein Gastauftritt der Kannibalen meinen Abend etwas aufgewertet, aber ich verstehe durchaus auch, dass jedes Mal der gleiche Gastauftritt in der gleichen Stadt ein bisschen ausgelutscht daherkommen kann. So war es nun eben ein Abend, der mir nicht ganz so gut gefiel, auch wenn viele Leute, die auch mehrere Shows besucht haben, das anders sehen. In der ersten Reihe war man sich allerdings einig, dass der Abend eben ein bisschen besonders auf negative Art war und es in Leipzig sicher besser wird.
Ich finde es übrigens wichtig, dass ich hier ehrlich meine Meinung darlege und nichts beschönige, nur weil es meine Lieblingsband ist. Ich habe lange mit mir gehadert, ob ich hier offen zugeben soll, dass Berlin für mich einfach kein guter Abend war. Auf keinen Fall wollte ich einen seltsamen Eindruck erzeugen, stattdessen lieber authentisch bleiben und versuchen, euch zu erklären, woran das lag. Wenn irgendwas nicht das Gelbe vom Ei ist, sollte man das auch so sagen dürfen, wie ich finde. Übrigens kann ich mir durchaus auch vorstellen, dass andere diese Show komplett anders bewerten, aber dafür ist so eine Review auch immer eine subjektive Sache und bei jedem kommen andere Eindrücke und Empfindungen an. Wenn ihr einen tollen Abend in Berlin hattet, freut mich das unglaublich – schreibt mir gerne, mich interessiert es echt, wie man das abseits der ersten Reihe so wahrgenommen hat, wo man sich größtenteils einig war.