Es gab ihn tatsächlich diesen Sommer, diesen einen Samstag, an dem wir nichts vorhatten. Zumindest vorerst. Der Gedanke, den wertvollsten Wochentag an das Zuhausesein zu verschwenden, ängstigte mich. Als ich recherchierte, wo man denn den ersten Samstag im Juli so verbringen könnte, stieß ich recht bald auf das Vainstream. Vortreffliches Lineup, nicht allzu weit weg, warum war ich da eigentlich noch nie? Ich fragte Inga, wie es denn um ihre Lust stünde, zu den Broilers zu fahren. Ihre Antwort: Trifft sich gut, ich habe gerade Tickets dafür gewonnen. Das nenne ich göttliche Fügung.

Ein fantastisches Festivalgelände weiß zu überzeugen
Wir brachen schon am frühen Morgen auf, da der erste Act auf unserer Tagesplanung – Madsen – bereits sehr früh Stagetime hatte. Davor wollten wir noch ausgiebig das Gelände bestaunen, das uns sofort für sich begeistern konnte: Mitten in der Münsteraner Innenstadt gelegen war das Gelände deutlich weitläufiger, als wir es uns im Vorfeld ausmalten. Neben den beiden direkt nebeneinander liegenden Hauptbühnen gab es noch eine kleine Bühne in der Sputnikhalle, die man vielleicht eher in Sputnikloch umbenennen sollte. Der Einlass wurde über die uns bestens bekannte Halle Münsterland geregelt, sodass sich das Publikum gut verteilte und es nirgends unangenehm voll wurde. An einem kleinen Chillout-Bereich, dem Beach, genossen zahlreiche Festivalbesucher ein Bad in einem der Pools und fröhnten sichtlich dem heißen Juliwetter.
Unser erstes Date des Tages hatten wir wie bereits angeteased mit Madsen, die mit ihrem Indiepunk im Lineup eher als Kuriosität verortet waren. Der Band selbst war das auch deutlich bewusst, sie scherzten immer wieder darüber und zeigten sich mehr als froh, das immerhin einige hundert Leute zu ihrem frühen Slot erschienen sind. Madsen sind für mich die klassische Festivalband: Eine Stunde mit den Hits ist genau der Rahmen, in dem ich Madsen mag. Auf Solo-Konzerten sind mir oft zu viele Filler-Songs dabei, auf Festivals dagegen geht es eine Stunde rund und man zieht zufrieden von Dannen.
Endlich normale Musik
Nach diesem frühen und sehr heißen Ertüchtigungsprogramm, bei dem die Security die Gnade besaß, das Publikum mit Wasserschläuchen frisch zu halten, zog es uns für ein entspanntes Mittagessen in die Münsteraner Innenstadt. Bei einer Paulaner-Spezi genossen wir das angenehme Wetter und schlenderten dann wieder gen Gelände, wo mittlerweile deutlich mehr Leute den Weg vor die Bühnen gefunden hatten. Ganz am Rand ließen wir uns zu Stick to Your Guns nieder und beobachteten die hervorragende Stimmung nebst den zahllosen Crowdsurfern.
Die beiden Hauptbühnen auf dem Vainstream sind, wie in Wacken, direkt nebeneinander und werden nahezu ohne Pause abwechselnd bespielt. Nebenan sollte gleich Alligatoah auftreten und wir waren nicht ganz sicher, was sich dort zutragen würde. In der Pandemie machte er mit einem famosen Metal-Set beim Wacken-Streaming-Event von sich reden und ich ging, aufgrund der Ausrichtung des Vainstreams, automatisch davon aus, dass er auch hier ein solches darbieten würde.
Wir schlenderten also für bessere Sicht zur anderen Bühne und wurden Zeuge einer ganz fürchterlichen Show, bei der der stets arrogante Alligatoah seine Songs auf stinknormale Art darbot und damit sehr viele Vainstream-Fans von der Bühne vertrieb. Was blieb war ein harter Kern aus eingefleischten Alligatoah-Fans. Wir ergriffen die Flucht und entschieden uns dafür, einen guten Platz für das anstehende Bullet for my Valentine Konzert zu sichern. Flucht ist natürlich relativ, da die Bühne direkt danebensteht und man unfreiwillig dennoch in den sehr lauten Genuss des Konzerts kommt. Aber uns war schon damit geholfen, es immerhin nicht mehr sehen zu müssen.
Und auf einmal war ich wieder 14
Plötzlich wurde ich sehr nervös: Weil die Leute auf dem Vainstream herdenartig immer von links nach rechts zu der jeweils bespielten Bühne watscheln, herrscht an der anderen Bühne gähnende Leere. So konnte ich einen Platz in der ersten Reihe ergattern, was mein 14jähriges, schwer in Matt Tuck verliebtes Ich zu Tage förderte. Mit Bullet for my Valentine fand ich damals meinen Zugang zum Metalcore und diese erste Liebe ist bis heute nicht vergangen. Wenn ich mich jetzt so erinnere, war ich richtig peinlich drauf und sehr aufgeregt, Matt Tuck aus so einer Nähe bestaunen zu können. Ingas Begeisterung hielt sich stark in Grenzen, sodass sie für sich beschloss, nach dem Ende der Alligatoah-Show an der anderen Bühne schonmal einen guten Platz für die Broilers ausfindig zu machen und mich mit meinen pubertären Gefühlen allein zu lassen.

Zur Show von Bullet kann ich euch nur so viel sagen: Ich habe selten eine Band erlebt, die so tight gespielt hat. Der Sound war eine glatte 10/10 und das Set hat mich mehr als glücklich gemacht. Zwischen all den poppigen Dingen, die ich diesen Sommer mal mehr und mal weniger freiwillig sehen musste, tat es gut, einen kleinen Trip back to the roots zu unternehmen. Mit Herzchen in den Augen sah ich einer Band zu, die sich in den letzten 15 Jahren mehr als hervorragend entwickelt hat und deren Meisterwerk „The Poison“ wohl für immer eine der besten Metalcore-Platten aller Zeiten bleiben wird. Notiz an mich: 2023 mehr Zeit für Metalcore-Shows einplanen.
Dickes B macht diesen Sommer einfach Spaß
Ich schleiche dennoch nach „Tears don’t fall“ zur anderen Bühne und stelle mich zu Inga in die erste Reihe. Normalerweise sind wir bei den Broilers eher crowdaffin, wegen des extrem schmalen Wellenbrechers kommt uns dieser zufällige Platz allerdings recht willkommen. Wir stehen vor Ron und fühlen uns bestens unterhalten. Generell ist das Set, trotz des zu Beginn eher durchwachsenen Sounds, ein absolutes Freudenfest. Es stellt sich heraus, dass es gar keine schlechte Idee war, die Broilers doch auch mal von vorne mitzunehmen.

Fazit: Was für ein fantastischer Festivaltag! Das war sicherlich nicht unser letzter Besuch auf dem Vainstream.