Was wurden im Hause Landstreicher die Werbetrommeln gerührt: Die große und einzigartige Wiedervereinigung, das ultimative Happening, „wenn Konzerte wieder Konzerte sein dürfen“. Über viele Monate war die Ankündigung des Triumvirats um Casper, K.I.Z und Kraftklub einer der wenigen Strohhalme, an den man sich als ausgehungerter Konzertfan klammern konnte. Gestartet als Soli-Konzert für die Crews wurde die Wiedervereiniging schnell zur Projektionsfläche für eine nie dagewesene Eskalation, für ein Konzerterlebnis der einmaligen Art. Wie sehr man irren kann, beweist dieser Abend in der Zitadelle Spandau.
Die Enttäuschung des Sommers hat einen Namen: Wiedervereinigung
Man muss es sich nur mal vorstellen: Drei der größten deutschen Acts, an einem Tag, auf einer Bühne. Die Acts sind noch dazu befreundet, haben schier unzählige Features miteinander und liefern so die Voraussetzung für eine bislang noch nicht dagewesene Show. Kein Wunder, dass die Erwartungshaltungen hoch waren. Es schien ja auch sehr einfach, diese zu erfüllen. Doch irgendwie war der Wurm drin.
Zunächst müsste man sich fragen, warum dieses Event eigentlich erst Ende Mai stattfand? Obgleich die Wiedervereinigung, wie mehrfach angekündigt, am ersten Tag stattfinden sollte, an dem Konzerte dieser Art wieder möglich seien, vergingen knappe zwei Monate, bis es endlich zu einem Stattfinden kam. Während Casper, Kraftklub und K.I.Z. schon in April und Mai mit eigenen Shows zugange waren, erweckte die späte Ansetzung den Eindruck, dass das 2020 geplante Konzert nun überhaupt nicht mehr in die Release-Pläne der Künstler passt.
Ohne den Fans eine Erklärung dafür zu liefern, wurde der Termin einfach auf Ende Mai angesetzt – was mit der eigentlichen Ankündigung zu Beginn nur noch wenig gemein hat, wenn jeder der drei Acts schon mehrfach wieder aufgetreten ist und selbst die ersten Festivals bereits Geschichte sind. Dazu kommt die Location: Damals, als die Karten in den Verkauf gingen, kaufte man ja noch blind und ohne eine Ahnung, wohin es einen verschlägt. Der Stehplatz Umlauf bei den Tickets brachte jedoch die Füchse unter den Fans auf den Plan, die schnell herausfanden, dass es sich ausschließlich um die Max-Schmeling-Halle handeln kann. Hach, was ist schon eine Hallenshow, wenn man auch ein unnötig großes Open-Air inmitten des Nirgendwo haben kann? Ja, doof, aber man schien hier die Cash Cow einfach noch ein bisschen weitermelken zu wollen. Als treuer Fan protestiert man da auch nicht, ist ja schließlich für die Crews und die gute Sache!
Verzeiht mir die Wortwahl
Über die Konzerte selbst bin ich noch immer so wütend, dass ich es kaum fertig bringe, halbwegs sachlich zu schildern, was sich in der Zitadelle darbot. 45min Spielzeit für jeden Act, das ist nichtmal ein kurzes Festivalset. Das ist einfach ein paar Hits hingerotzt.
Gut, die Features werden es gerettet haben, denkt ihr jetzt? Weit gefehlt, denn die fanden nicht statt. Richtig gelesen. Es gab bis auf sehr wenige Ausnahmen keine. Dazu war der Sound durchweg derart erbärmlich leise, dass man das Gemurmel des Nebenmannes deutlicher verstand als die Vocals auf die Bühne. Stimmung kam so natürlich nicht wirklich auf. Auch der lieblose und Fremdscham-auslösende Song „80tausend Millionen“ den die Acts gemeinsam aufnahmen, konnte darüber nicht hinwegtrösten – im Gegenteil, er war peinliches Symptom dieser Veranstaltung. Die Acts selbst wirkten obendrein durchweg lustlos. Der Zauber, der der Ankündigung einst innewohnte, war endgültig verschwunden.
Ich habe von zahlreichen Leuten im Internet gelesen, die von der Wiedervereinigung ganz begeistert und hingerissen waren. Das freut mich für diese Menschen, aufrichtig sogar. Ich kann mich diesen Einschätzungen jedoch ganz und gar nicht anschließen und möchte daher auch aus meiner Unzufriedenheit keinen Hehl machen. Woran es liegt, dass ich und meine Begleitungen das alles so anders rezipiert haben? Ich weiß es nicht. Vielleicht ein bisschen weniger Fanbrille, vielleicht einfach schon deutlich besseres gesehen nach der Pandemie. Aber der fade Beigeschmack bleibt.
Die Wiedervereinigung in Kurzform: Kein Funke Persönlichkeit, kein Funke Charme, kein Garnix. Als Freundschaftsding aufgebauscht, als herbe Enttäuschung mit magerem Programm geendet. Für 60 Euro hätte ich mir nicht nur mehr erhofft, sondern vor allem auch erwartet.